Neue Ausstellungen - Neue Raritäten

Zwei Jahre Buchheim Museum

29. Juni bis 30. November 2003

Anlässlich des zweijährigen Bestehens des Buchheim Museums, das inzwischen nahezu eine halbe Million Kunstinteressierte besucht haben, eröffnen wir am Sonntag, dem 29. Juni 2003, nicht nur den neu konzipierten zweiten Expressionistensaal, sondern auch mehrere Kabinettausstellungen, die einmal mehr den Künstler Buchheim und die Spannweite seiner Sammlungen in den Blickpunkt rücken:


Lothar-Günther Buchheim: Das Buchheim Museum entsteht. Eine Fotodokumentation

Buchheim dokumentierte mit seiner Kamera den Baufortschritt seines Museums vom ersten Spatenstich am 18. Juni 1998 bis zur Vollendung des Gebäudes im Mai 2001. Die schönsten Fotos sind jetzt im Buchheim Museum zu sehen.

Die Ästhetik der Baumaterialien und Maschinen, ihre formale und farbliche Vielfalt sowie der Bauprozess als solcher faszinieren den Augenmenschen, der sich anhand seiner Bilder immer wieder zu vergewissern scheint: "Ein Wunder! Nach dreißig Jahren harter Kämpfe für meine Sammlungen und für meine Museumsidee, wird mein Museum nun doch endlich in Bernried gebaut."


Otto Mueller, Max Kaus und Otto Dix - Eine Konfrontation

Nach der Ausstellung mit Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen und Druckgraphik von Otto Mueller (1874 - 1930), die das Schaffen des einzelgängerischen, aber von 1910 bis 1913 der Künstlergemeinschaft "Brücke" zugehörigen Malers anhand der reichen Bestände der Sammlung Buchheim vergegenwärtigte, wird nun eine Auswahl von Arbeiten Otto Muellers in den Kontext von Arbeiten gestellt, die Erich Heckel, Max Kaus und Otto Dix entweder während des Ersten Weltkrieges oder in der ersten Hälfte der 20er Jahre geschaffen haben. Die Verklammerung von Muellers Werken mit Bildern der "Brücke"- Maler Kirchner, Schmidt-Rottluff, Heckel, Pechstein und Nolde im ersten Expressionistensaal einerseits und den Werken von Kaus und Dix sowie dem späteren Heckel andererseits, macht anschaulich, wie stringent Mueller seinen eigenen künstlerischen Weg gegangen ist, und "wie konsequent", so Buchheim 1963, er "die künstlerische Auseinandersetzung mit seiner Umwelt vermieden hat und sich auch während der elenden Kriegsdienstjahre die selbsterschaffene Welt bewahrte". Muellers Briefe aus dem Felde an seine Frau Maschka - Buchheim konnte sie in seinem 1963, kürzlich wiederaufgelegtem Buch über Otto Muellers Leben und Werk erstmals veröffentlichen -, aber auch Muellers Arbeiten, die seit seiner Einberufung als Infanterist im Sommer 1916, an der West- und Ostfront oder während des Fronturlaubs entstanden sind, lassen Buchheim folgern: "Über seine Erlebnisse, seine Umwelt, seine Kameraden schweigt sich Otto Mueller aus. Er muss zu dieser Zeit in einem seltsamen Zwischenreich, halbwegs zwischen Realität und einer aus Träumen und Sehnsüchten gewobenen Welt gelebt haben." - Ein "uniformierter Zivilist", dessen Malerei vom Frontgeschehen - bis auf eine Kriegsszene - unberührt blieb, ebenso wie seine künstlerische Ausdrucksweise, die sich unter dem Eindruck der Kriegsereignisse nicht veränderte.

Gemälde wie "Zwei badende Mädchen" (um 1917) und die Lithographie "Fünf Mädchen am Waldteich (2)" (um 1919), die den Einklang von Mensch und Natur beschwören, belegen dies eindringlich.

Ganz anders Erich Heckel (1883 - 1970), der als freiwilliger Krankenpfleger in Flandern täglich mit Verwundeten, Genesenden und Sterbenden umging. Diese seine Kriegsrealität, das Echo des schrecklichen, mit ungeahntem technischen Einsatz geführten Krieges, hält er in Szenen und Bildnissen geschundener Menschen fest: Ein einbeiniger Krüppel steht verlassen am Meer unter geballten, unheildrohenden Wolken. Gesichter tragen tiefeingegrabene Spuren schrecklicher Erlebnisse... - Kampfhandlungen finden in Heckels Arbeiten der Kriegszeit keinen Niederschlag, wohl aber die Weite flandrischer Ebenen, Szenen aus Zirkus und Varieté - geläufige Motive aus der "Brücke"- Zeit -, oder Gegen- und Wunschbilder, die in Zeiten stets gegenwärtiger Todesangst und existentiell erfahrener Einsamkeit, die Sehnsucht nach Geborgenheit spiegeln.

Wie wichtig und lebenserhaltend Freundschaft während des Krieges sein konnte, dokumentiert Max Kaus (1891-1977), der den acht Jahre älteren Heckel im Sanitätszug des Kunsthistorikers Dr. Kaesbach kennen lernte und mit ihm bis zum Ende des Krieges zusammenblieb. Kaus hat in dem 1917 gemalten Bild "Freunde" die Menschen um sein Bett versammelt, die ihm in dieser schweren Zeit lieb und wert waren: Erstarrt und in sich gekehrt, aber in stiller Übereinkunft, scheinen Erich Heckel (vorne links), Ernst Morwitz (vorne rechts), ein Dichter aus dem Stefan-George-Kreis, der ebenfalls in Flandern stationiert war, und Kaus' Frau Turu in ohnmächtigem, schicksalsergebenem Warten vereint ...

"Es war das Glück meines Lebens, das ich Heckel begegnet bin", meinte Kaus später. Heckel wies Kaus in die Technik des Steindrucks ein. Erste Lithographien von Kaus wie etwa die Illustrationen zu einem Antikriegsgedicht von Klabund entstanden noch im Krieg, wo sich Heckel mit Kaus und anderen Künstlern notdürftige Ateliers in einem ausgebombten Hotel eingerichtet hatten. Nach dem Krieg bis gegen Ende der 20er Jahre hat sich Kaus, so Buchheim 1973, der Lithographie "geradezu rauschhaft hingegeben. Die Arbeit auf der Kalkschieferplatte mit Stift und Fettusche, mit Lappen und Säuren, das Hantieren an der Presse, das Ändern, Korrigieren, Ans-Licht-Bringen, das Verwerfen der von der Sekunde eingegeben Lösungen - all das hat ihn heftig stimuliert, hat ihn immer kühner, immer entschiedener werden lassen, zu immer neuen Ausbrüchen aus den Konventionen des Handwerks gereizt und ihm neue Eingebungen gebracht." Ein Großteil der Lithographien, von denen Max Kaus oft nur zwei oder drei Abzüge machte, wurde im Zweiten Weltkrieg bei Bombardierungen zerstört. Buchheim stöberte aber in der Nachkriegszeit bei Freunden in Paris, die nach 1933 exilieren mussten und vom jungen Kaus von jedem Blatt ein Exemplar abgekauft hatten, "den ganzen Schatz Kausscher Graphik" auf: "Die frühen fiebrigen Blätter, gleichsam in Großaufnahme gesehene junge Intellektuelle, hungrige Erwartung in den Gesichtern, auch Entsetzen über das Ausgeliefertsein an eine in allen Fugen morsche Welt. Mit beschwörenden Gesten und überweit aufgerissenen Augen agieren sie wie Mimen vage Lebensangst und erotische Bedrängnis. Dann die schweren Berliner Brücken- und Kanallandschaften ..."

Otto Dix meldete sich im Sommer 1914 freiwillig zum Militärdienst. 1961/62 erläutert er seine Beweggründe: "Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen. Man muss den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu wissen... Der Krieg ist eben etwas so Viehmäßiges: Hunger, Läuse, Schlamm, diese wahnsinnigen Geräusche..." "Ich musste auch erleben, wie neben mir einer plötzlich umfällt und weg ist ... Das musste ich alles ganz genau erleben. Das wollte ich. Also bin ich doch gar kein Pazifist - oder? - vielleicht bin ich ein neugieriger Mensch gewesen. Ich musste das alles selber sehen. Ich bin so ein Realist..., dass ich alles mit eigenen Augen sehen muss, um das zu bestätigen, dass es so ist ... Also bin ich ein Wirklichkeitsmensch. Alles muss ich sehen. Alle Untiefen des Lebens muss ich selber erleben; deswegen habe ich mich freiwillig gemeldet."

Nach der Ausbildung als Artillerist und als Schütze am schweren MG ist er vom Herbst 1915 bis Herbst 1916 in Frankreich eingesetzt, kämpft später in Flandern und in Russland, dann wieder an der Westfront. In jeder freien Minute zeichnet, malt und aquarelliert Dix. Weit über ein halbes Tausend Blätter, dazu ein Konvolut von Feldpostkarten, die er an Helene Jakob nach Dresden schickt, sind an der West- und Ostfront entstanden. 1916 veranstaltete die Galerie Arnold in Dresden eine kleine Ausstellung mit Kriegszeichnungen von Dix.

Im August 1924, zehn Jahre nach Kriegsbeginn, bringt der Verlag Karl Nierendorf Berlin Dix' Radierfolge "Der Krieg" heraus (5 Mappen mit je 10 Blättern in einer Auflage von 70 Stück), aus der das Buchheim Museum nun eine Auswahl zeigt, zusammen mit Blättern, die das Elend der Nachkriegsjahre mit sezierender Schärfe schildern.
"Mit dem Zyklus - Der Krieg", so Buchheim in seinem 1959 erschienenen Buch über die Graphik des deutschen Expressionismus, "hat Dix, weit über sich selbst hinausgewachsen, eine der großartigsten graphischen Folgen geschaffen, die neben Goyas "Desastres de la guerra" und Rouaults "Miserere et Guerre" genannt zu werden verdient. Dix registriert mit erbarmungsloser Schärfe. Er verschließt die Augen nicht vor eitrigen Wunden, vor qualliger Verwesung. Mit kalter Präzision gibt er seine makabren Befunde einer nackten und ekelerregenden Welt, die nicht Ausgeburt einer brueghelschen Phantasie, sondern vollkommen real und damit so ungeheuerlich ist. Hier ist nicht mehr Sentimentalität oder das Pathos weitausholender Weltumfassungsgesten am Werk. Giftiger Hass treibt Pinsel, Stift und Radiernadel."


Hector Trotins Sonntagswelt

Im Graphikkabinett lässt sich die heitere Seite der Buchheimschen Sammlungen erleben. Hector Trotin (1894 - 1966) wartet mit sonntäglichen Eindrücken des Pariser Lebens auf. Den Bouquinisten am Ufer der Seine, dem Flohmarkt oder dem festtäglichen Treiben am französischen Nationalfeiertag widmet er sich ebenso liebevoll wie den berühmten Baudenkmälern der Stadt. - Trotins Paris ist jedoch nicht das zeitgenössische, moderne Paris, sondern das der Jahrhundertwende.

Ein Paris, das von bizarren Luftschiffen überflogen wird, in dem Menschen sich mit Pferden und in Kutschen fortbewegen, und mit großen Augen neue technische Errungenschaften wie den Eiffelturm bestaunen.
Ende der 50er Jahre suchte Buchheim den soeben entdeckten großen Meister naiver Malerei in Paris auf. Wie diese Begegnung verlief, schildert Buchheim in seinem 1957 erschienenen Büchlein zu Trotins Bildern, das - in veränderter Form - anlässlich des zweijährigen Jubiläums des Buchheim Museums neu aufgelegt wurde.

Lothar-Günther Buchheim
Hector Trotins Sonntagswelt
Neuausgabe 2003
32 S. mit 22 Abb. in Farbe
EUR 6,50 zzgl. EUR 2,50 Versandkosten
Bestellung: elfriede.haimerl@buchheimmuseum.de


Und vieles andere mehr...

Neue Stücke wie ein etwa 150 Jahre altes, filigran geschnitztes Holzbett aus China, Bilder aus Penestanan, einer Künstlerkolonie in Indonesien, die Fest und Alltag auf Bali schildern, sowie kunstvoll bestickte Textilien aus Indien, Gouachen und Zeichnungen von Karl-Heinz Richter, der für seine voluminösen Figuren aus Papiermaché bekannt ist, und nicht zuletzt eine von Buchheims angeregte Akrobatengruppe von Siegfried Ulmer zeigen: Im Buchheim Museum "rührt es sich". Immerzu dreht sich das Buchheimsche, von extremen Gegensätzen geprägte Sammlungskaleidoskop: Immerzu gibt es Neues im Buchheim Museum zu sehen, fügen sich andere "Bilder", Themen, Zusammenhänge und Fragestellungen.

Dr. Clelia Segieth
Kuratorin des Buchheim Museum


Meldungen


Otto Mueller, Zwei badende Mädchen, um 1917, Leimfarbe auf Rupfen © Sammlung Buchheim Museum, Bernried


Erich Heckel, Krüppel am Meer, 1916,
Lithographie, © Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen


Max Kaus, Freunde - Interieur mit vier Personen, 1917, Öl auf Leinwand, © Sammlung Buchheim Museum, Bernried


Max Kaus, Sprechender, 1919, Lithographie,
© Sammlung Buchheim Museum, Bernried


Hector Trotin, Sonntagsspaziergänger am Ufer der Seine, vor dem Louvre, © Sammlung Buchheim Museum, Bernried

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