Marc Chagall - Sammlung Buchheim

Ausstellung im Buchheim Museum, 02.04. bis 08.08.2004

Das Buch zur Ausstellung:

Buchheim Verlag: Marc Chagall - Sammlung Buchheim, Abbild. und Texte von L.-G. Buchheim, Marc Chagall, u.a. EUR 12,00

Die Ausstellung "Marc Chagall - Sammlung Buchheim" zeigt eine Auswahl von rund 160 Werken aus der Chagall-Sammlung Lothar-Günther Buchheims, der in seinem 1951 gegründeten Verlag , 1953 und 1955 zwei Bücher über den jüdischen, im russischen Witebsk geborenen Maler veröffentlichte. Chagall lebte damals - seit 1948 - wieder in Frankreich, nachdem er 1941 nach USA emigriert war. Schon 1933 waren in Mannheim Werke von Chagall als "Entartete Kunst" verbrannt worden. 1937 wurden während der gleichnamigen Aktion alle Arbeiten von Chagall aus den öffentlichen Museen Deutschlands beschlagnahmt, mit 55 Arbeiten der größte Anteil unter den ausländischen Künstlern.

Buchheim trug in den Nachkriegsjahren aber nicht nur durch Publikationen und eigene Texte (siehe dazu die Einleitung zu dem 1955 erschienenen Buch "Chagall. Zwischen Tag und Traum") zum Verständnis des Chagall'schen Werkes bei. Er erwarb, ja er "jagte" den Werken Chagalls nach, und trug so eine, von persönlichen Vorlieben und künstlerischen Aspekten geprägte Chagall-Sammlung zusammen.

Die Sammlung Buchheim setzt mit frühen Arbeiten Chagalls ein wie ersten Lithographien und Radierungen aus den 20er Jahren, vor allem aber mit den Illustrationen und dem Zyklus zu seiner Autobiographie "Mein Leben", den Chagall in seiner Berliner Zeit 1922/23 im Auftrag des Verlegers Paul Cassirer schuf: Unter dem Druck der (kultur)politischen Situation hatte Chagall 1922 Russland verlassen und war mit seiner Frau Bella nach Berlin gekommen, weil er hier, wie ihm sein Freund Rubiner schrieb "berühmt" war, und er hoffte, an frühere Erfolge anknüpfen zu können: 1914, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, hatte Herwarth Walden in seiner "Sturm" Galerie eine Einzelausstellung mit Werken Chagalls gezeigt, und auch später noch durch weitere Präsentationen das Werk Chagalls bekannt gemacht.

Die raren Blätter zu "Mein Leben", Chagalls erste intensive Beschäftigung mit der Druckgraphik, illustrieren vorwiegend Chagalls Zeit des Heranwachsens in Witebsk, rufen Vater und Mutter, die Großeltern, seine Geburt, die Straßen und Häuser der Stadt, den Talmudlehrer und die erste Liebe in Erinnerung.

Im Herbst 1923 geht Chagall nach Paris, wo ihn sein Freund, der Dichter und Schriftsteller Blaise Cendrars mit dem Verleger Ambroise Vollard bekannt macht. Vollard wird ihn in Folge mit drei Graphikzyklen beauftragen, die in der Sammlung Buchheim vollständig erhalten sind, und nun in einer Auswahl von jeweils rund 25 Blättern gezeigt werden.

Seine Illustrationen zu Nikolai Gogols Roman (1841/42) "Die toten Seelen" (insgesamt 118 Blätter) radierte Chagall in den Jahren 1923-1927, doch erst 1948 wurden sie durch den Verleger Tériade veröffentlicht. In seinen Interpretationen der Geschichte des Helden Pawel Iwanowitsch Tschitschikow, der im Umfeld der Stadt N. die Namen verstorbener Leibeigener aufkauft, um sie für Steuerbetrügereien zu nutzen und dabei den skurrilsten Gestalten begegnet, lässt Chagall seiner Freude am Fabulieren und Geschichten erzählen freien Lauf.
Auch in den Blättern zu Jean de La Fontaines "Fabeln" (insgesamt 100 Radierungen), geschaffen 1927-1930, und 1952 publiziert (1952), erweist sich Chagall als eigenwilliger und phantasievoller Interpret der Lehrstücke La Fontaines, die menschliche Schwächen wie Macht- und Habgier, Kriechertum, Ängstlichkeit, Eitelkeit und andere Eigenschaften aufs Korn nehmen, und bereichert die Bilder durch seine Eindrücke von der Landschaft und dem ländlichen Leben in Frankreich.

Die Radierungen (insgesamt 105) zur "Bibel" schließlich, die zwischen 1931-1939, und 1952-1956 entstanden sind, deuten die Texte aus dem Alten Testament ganz im Sinne der gefühlsbetonten chassidischen Erweckungsbewegung, die Chagalls Erziehung in seinem frommen jüdischen Elternhause prägte. Um sich auf die Bibelthemen einzustimmen, war Chagall 1931 eigens nach Palästina, Syrien und Ägypten und zum Studium der Werke Rembrandts nach Holland gereist.

Um diese vier Graphikzyklen, die den Kern von Chagalls Oeuvre bilden und seine künstlerische Persönlichkeit wie in einem Brennspiegel fokussieren, gruppieren sich großformatige, farbenprächtige Lithographien, die Chagall vorwiegend in den 50er und 60er Jahren schuf. "Paris grüßt", ein Blatt, das Chagall 1952 für das Album zum hundertjährigen Bestehen der Druckerei der Gebrüder Mourlot entwarf, in deren Ateliers nicht nur Chagall, sondern auch Braque, Picasso, Matisse und viele andere Künstler arbeiteten, thematisiert ein Motiv, das in vielen Arbeiten Chagalls wiederkehrt: ein in himmlische Sphären entrücktes Liebespaar schwebt, begleitet von einem Hahn mit Blumenstrauß, über der kaum erkennbaren Kulisse von Paris. Dieses, wie die vielen anderen farbigen Blätter der Sammlung Buchheim wie etwa die "Die Bucht der Engel" (1962), ein Plakatentwurf, der in zwei Varianten (vor und nach der Schrift) vorliegt, die feintonige Arbeit "Opfergabe für den Eiffelturm" (1964) oder der, in leuchtenden Farben gemalte Blumenstrauß (1963), bei dem auf die Strukturierung durch die schwarze Zeichnung ganz verzichtet wurde, weisen Chagall als großartigen Meister der Farbgebung und der vielfältigen Farbvaleurs aus.

Chagall komponiert seine Bilder aus der Farbe heraus und ist doch gleichzeitig, ganz im Sinne der Tradition der Ecole de Paris, auf die Ausgewogenheit und Harmonie der Komposition bedacht. Auch wenn Chagall selbst immer wieder seine künstlerische Einzelgängerposition hervorhob, und sich in frühen Jahren weder der russischen, noch später der französischen Kunstszene zugehörig fühlte, ist er doch Kind seiner Zeit und empfing Impulse und Inspirationen unter anderem durch die Fauvisten und die Kubisten, hier vor allem durch den auf reiner Farbmalerei basierenden Orphismus seines Freundes Delaunay.

Um bloße formale Probleme kreisende künstlerische Erwägungen und Diskussionen lehnte Chagall ab. "Kunst", so schreibt er in seiner 1931, zunächst im Französischen erschienenen Autobiographie, "scheint mir vor allem ein Seelenzustand zu sein: Die Seele eines jeden ist heilig, eines jeden Zweibeiners an jedem Punkte der Erde. Nur das rechtschaffene Herz, das seine eigene Logik, seine eigene Vernunft hat, ist frei."

Neben den farbenprächtigen Blättern von Chagall, die um Themen wie Zirkus, Liebe, aber auch Geschichten und Figuren der Bibel kreisen, mit eindrucksvollen Arbeiten wie "Moses und die Gesetzestafeln" (1967), sind lithographierte Plakate wie "Femme-oiseau" (Vogelfrau) von 1950 zu sehen, das Chagall für die Galerie Maeght entwarf, und das zugleich seine intensive Beschäftigung mit der Lithographie einleitet.

Bibliophile Raritäten wie die Bibelnummer der Revue "Verve" (mit Originallithographien), die Tériade anlässlich des Erscheinens der Bibelillustrationen edierte oder auch Bücher über den Maler Chagall wie die erste Monographie von A. Efross und J. Tugendhold in der deutschen Übersetzung aus dem Russischen (1921) oder das wunderschöne Künstlerbuch von Jacques Lassaigne (1957), für das Chagall zahlreiche Lithographien schuf, sind besondere Leckerbissen für Bücherfreunde.

Die Ausstellung, die im Zweiten Expressionistensaal und auf deren Galerie gezeigt wird, regt an, Chagall mit neuen Augen zu begegnen und ihn neu zu entdecken. Die Textauszüge aus "Mein Leben", Gogols "Toten Seelen", den Fabeln von La Fontaine und dem Alten Testament, welche die Illustrationen begleiten, machen die Ausstellung zu einem runden Schau- und Lesevergnügen. Darüber hinaus lassen sich die Arbeiten Chagalls unter vielfachen Aspekten mit den Bildern der im Buchheim Museum nun in verdichteter Auswahl gezeigten Expressionisten und "Brücke"-Maler verbinden und machen so verständlich, warum Chagall, als er erstmalig auf dem von Walden organisierten deutschen Herbstsalon seine Bilder zeigte, in der deutschen Kunstszene als "Expressionist" gefeiert wurde.


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