Max Beckmann - Lovis Corinth

Rede von Prof. Dr. Hans Maier

Rede von Prof. Dr. Hans Maier, zur Eröffnung der Ausstellung Max Beckmann - Lovis Corinth im Buchheim Museum in Bernried am 9. Mai 2009.

Frau Kuratorin, verehrte Gäste, meine Damen und Herren!

Zunächst gratuliere ich dem Buchheim Museum herzlich zur neuen Ausstellung. Es ist, wenn ich richtig gezählt habe, die siebte seit Buchheims Tod - und mit so prominenten Malern wie Max Beckmann und Lovis Corinth ein kräftiger Paukenschlag.

Am 22. Februar 2007, während der Picasso-Ausstellung, ist Lothar Günther Buchheim gestorben. In den Ausstellungen, die seither stattgefunden haben, trat die Vielseitigkeit, der Nuancenreichtum des Sammlers Buchheim eindrucksvoll hervor. Das reicht von eigenen Werken als Maler und Fotograf bis zur Plakatkunst der Belle Époque, von den Aquarellen, Lithos und Radierungen Fernand Légers und Joan Miros bis zu Illustrationen und Kinderbüchern aus dem Buchheim Verlag, von Keramiken aus Chile bis zu der "Pop Art mit Orangenduft" - luftigen Einwickelpapieren für Zitrusfrüchte, die im Lauf der Zeit aus Schutzvorrichtungen gegen Fäulnis zu Kunstgebilden wurden. Nicht zu vergessen die Rosenbilder von Pierre Joseph Redouté und den malenden Bauern vom Ammersee Max Raffler Mehr als eine Million Besucher konnte das Buchheim Museum inzwischen verzeichnen. Unterpfand des Erfolgs war die Energie von Lothar Günther Buchheim - aber gewiss auch die  Beständigkeit von Diethild Buchheim.

Ich kannte Lothar Günther Buchheim seit den siebziger Jahren und habe sein Tun in München aufmerksam verfolgt. So bin ich gern der Bitte von Diethild Buchheim gefolgt, bei dieser Ausstellungseröffnung etwas über Begegnungen mit diesem Sammler, Maler, Autor, mit diesem faszinierenden und oft schwierigen Zeitgenossen zu erzählen.

Unser erstes Zusammentreffen hatte etwas mit Beckmann zu tun - genauer: mit der Beckmann-Sammlung Günther Frankes.

Als einem eifrigen Besucher der Kölner und Düsseldorfer Museen war mir klar geworden, dass den staatlichen Museen in München etwas fehlte,nämlich einige charakteristische Stücke zeitgenössischer Kunst. So hätten zum Beispiel die Expressionisten im Land des Blauen Reiters ruhig  kräftiger vertreten sein können. Und die Kunst der Surrealisten fehlte in München fast ganz. Ich war als Kultusminister sehr glücklich, dass es gelang, Anfang der siebziger Jahre die große Beckmann-Sammlung Günther Frankes für die Staatsgemäldesammlungen zu erwerben. Später kam die Surrealisten-Sammlung Theo Wormlands mit  Bildern von Magritte, Max Ernst, Botero hinzu. Ich konnte den von Krankheit schon gezeichneten Unternehmer und Sammler in mehreren Gesprächen buchstäblich in letzter Minute dazu überreden, seine Sammlung den Staatsgemäldesammlungen zu übergeben (der große Konkurrent war die Stadt München).

Auch Prinz Franz von Bayern trat in diesen Jahren als Sammler zeitgenössischer Kunst hervor. Auch er war daran interessiert, die neuen unbekannten Schätze der Öffentlichkeit vorzustellen. Und natürlich war da schon lange Lothar Günther Buchheim, der seine Expressionisten-Sammlung 1958 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus präsentiert und im Jahr 1962  52 Bilder  mit einem Leihvertrag den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen überlassen hatte. So entstand plötzlich eine ganz neue Problematik: die Bestände moderner, zeitgenössischer Kunst wuchsen rasch, aber wo war Raum, sie auszustellen?  Später bot der Neubau der Neuen Pinakothek (1981)  neue Möglichkeiten. Aber reichten sie aus? Schon bald wurde nach einer zweiten Neuen Pinakothek - einer  Pinakothek der Moderne - gerufen.

Das war , so sehe ich es heute, auch der Hintergrund für die bekannte, mit Heftigkeit ausgetragene Kontroverse zwischen Erich Steingräber, dem Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, und Lothar Günther Buchheim. Acht Bilder der Buchheimschen Expressionisten-Sammlung wurden in den Staatsgemäldesammlungen ständig ausgestellt, andere verblieben im Depot. Über eine endgültige  Überlassung der Sammlung konnte man sich nicht einigen. Jahrelang wurde über Fragen der Präsentation, der Versicherung, der Gewichtung der einzelnen Stücke gestritten. Es ist kein Zweifel, dass der Erwerb der Beckmann-Sammlung Günther Frankes die Staatsgemäldesammlungen in ihrer zurückhaltenden, ja abweisenden Haltung gegenüber der Buchheim-Sammlung noch bestärkt hat. Auf eine einfache Formel gebracht: Brauchte man Buchheim noch, wenn man selbst über die größte Beckmann-Sammlung der Welt verfügte?

Die Dinge eskalierten, als Erich Steingräber nach heftigen Angriffen Buchheims auf die Kunststadt München in der Zeitschrift "art" 1980 kurzerhand die Sammlung Buchheim kündigte. Ich war darüber nicht informiert worden und  veranlasste sofort, dass die Kündigung zurückgenommen wurde. Einzelgespräche mit den beiden Streithähnen, schlossen sich an. Nach einigem Hin und Her konnte ich einen vorläufigen Friedensschluss herbeiführen. Es wurde klargestellt, dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen weiterhin an der Sammlung Buchheim interessiert seien und dass man gemeinsam nach einer Dauerlösung suchen wolle. Es war sozusagen ein "verbriefter Einstand" des Sammlers Buchheim beim Freistaat Bayern.

Erst einmal aber ging die Buchheimsche Sammlung nach diesem Zusammenstoß auf Reisen. Sie wurde an vielen Stellen der Welt gezeigt:  in der Eremitage in Leningrad, im Puschkin-Museum in Moskau, in der Nationalbibliothek  in Madrid, im Tel Aviv Museum in Israel, im Minneapolis Institute of Arts und in anderen Museen in den USA und in Japan. Nach dieser über 20 Stationen führenden Welttournee mit Millionen von Besuchern wurde sie im März 1985 in München, im Haus der Kunst,  gezeigt, und zwar erstmals vollständig. Der Ort war symbolisch: im Haus der Kunst hatte Hitler am 18. Juli 1937 die Maler des deutschen Expressionismus als "armselige verworrene Pinsler", "prähistorische Kunststotterer", "grausamste Dilettanten" geschmäht und angekündigt, er werde wie in der Politik so auch in der Malerei und im deutschen Kunstleben "aufräumen". Das war bitter ernst gemeint. Einen Tag später wurde die Ausstellung "Entartete Kunst" im Galeriegebäude am Hofgarten in München eröffnet, in der 730 Werke von 112 Künstlern an den Pranger gestellt wurden. Und die hier gezeigten Werke waren nur ein kleiner Teil der rund 500 Gemälde und der 12.000 graphischen Arbeiten, die von den Nationalsozialisten aus den deutschen Museen entfernt wurden. Wenn irgendwo, so mussten die Geschmähten und Verbannten hier, im "Haus der Kunst" wieder zu Ehren kommen. Auch Joseph Beuys hat das so gesehen; in einem Gespräch, das ich 1983 mit ihm führte, riet er mir, das "Haus der Kunst" zur "Pinakothek der Moderne" umzuwidmen, das sei die richtige "Rache an Hitler"!

Beim Staatsempfang anlässlich der Expressionisten-Ausstellung sagte ich am 15. März 1985 abends um 21.00 Uhr im Prinz-Carl-Palais in Richtung Lothar Günther Buchheim folgendes: "Ein willkommener Nebeneffekt wäre es, wenn die gemeinsamen Bemühungen um das Zustandekommen der Ausstellung Ihnen, verehrter Herr Buchheim, Staat und Verwaltung Bayerns wieder in freundlicherem Licht erscheinen ließen. Gewisse Meinungsverschiedenheiten in der Vergangenheit haben Sie hoffentlich niemals daran zweifeln lassen, dass wir Sie sehr gerne bei uns haben und dass wir auf Sie und Ihre Leistung stolz sind. Ich bin sicher, dass Ihre bekannte "Grolliebe" zu München und Bayern die künftigen bayerischen Historiker nicht daran hindern wird, Sie in die Schar der "großen Bayern" aufzunehmen und entsprechend zu feiern."

Dennoch  traute Buchheim wohl dem Frieden  nicht ganz.  Nach wie vor war er in den folgenden Jahren bereit, seine Sammlung in irgendeine Stadt außerhalb Bayerns zu geben, zumal nachdem erste Pläne für ein eigenes Museum am Starnberger See, in Feldafing, an einem Bürgerentscheid gescheitert waren. In der Tat bewarben Städte und Gemeinden in Deutschland sich mit Museumsplänen um die Buchheim-Sammlung. Aber alle Verhandlungen scheiterten. Buchheim hat das oft groteske Auf und Ab in seinem Buch "Das Museum in den Wolken" mit Zorn und Witz geschildert. 1986 konnte Bayern wieder hoffen. Aus seinen bisherigen Verhandlungen zog der Meister das skeptische Resumé,  es sei ihm in der außerbayerischen Fremde mit seinen Schätzen sogar  noch schlechter ergangen als zu Hause. Die Sammlung war nach dem Scheitern der Verhandlungen pikanterweise wieder in den Depots der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gelandet. Und Buchheim meinte in einem Interview mit der "Abendzeitung", er habe jetzt keine Probleme mehr mit  Erich Steingräber. Mich überzog er sogar mit Lob: "Maier ist mit mir aufs allerbeste verfahren. Wider alle Erwartung konnte ich auch feststellen, dass sich dieser Minister im Expressionismus fundiert auskannte...Ich hatte in ihm einen wirklichen Partner gefunden". Mündlich drückte er sich gegenüber Dritten einmal so aus: er habe sich mit mir  stets "mit einem Grunzen verständigen können."

Wie die Geschichte weiterging, wissen Sie alle. Die bayerischen Kultusminister,  meine Wenigkeit, aber auch die Nachfolger Wolfgang Wild und Hans Zehetmair, haben sich redlich Mühe um Lothar Günther Buchheim gegeben.  Zu Ende bringen konnten sie die Sache freilich nicht. Das Museum der Phantasie konnte erst realisiert werden, als es ein Ministerpräsident Edmund Stoiber zur Chefsache machte. 1998 war der erste Spatenstich in Bernried, ein Jahr später konnte das Richtfest gefeiert werden. Am 23. Mai 2001 wurde das Buchheim Museum fröhlich und feierlich eröffnet. Es war überwiegend mit Mitteln des Freistaats Bayern errichtet worden (Kostenpunkt: 37, 7 Millionen DM). Glücklicherweise konnte Lothar Günther Buchheim die Eröffnung und die ersten Jahre des Museums noch erleben. In seiner Rede zur Eröffnung  wetterleuchtete es kräftig, die Zuhörer hielten schon den Atem und warteten auf Blitzschläge - aber am Ende stand doch eine elegisch gedämpfte Zufriedenheit.

So habe ich also Lothar Günther Buchheim aus der Nähe und aus der Distanz erlebt. Seine Vorzüge sprangen sofort ins Auge: ein sicherer Sinn für künstlerische Qualitäten, die landsmannschaftliche Verbundenheit mit den Brücke-Malern, der Instinkt des Journalisten für die Gunst der Stunde, die Witterung  des Geschäftsmanns für den Trend der Zeit. Bewundert habe ich immer seinen Sinn für Details. Einmal, als ich bei einem Gespräch meine kleine alte Mappe nicht dabei hatte, sondern eine andere,  bemerkte er es sofort und fragte danach. Noch 1989 hatte ich mit ihm einen Briefwechsel über die Osterliturgie: ihn interessierte die Formulierung "felix culpa" im "Exsultet", er wollte den lateinischen Kontext; ich schickte ihn ihm.  Aber sein sprudelndes Temperament konnte auch überschäumen, sein Zorn verletzen, sein polemisches Hämmern hinterließ oft Wunden, die schwer zu heilen waren. Er hat im  Lauf seines Lebens viele Freunde gewonnen, aber sich ganz gewiss auch viele Feinde gemacht.

Lag das einzig an seiner Art, daran, dass er von Jugend an ein geborener "Überflieger" war?  Musste er einfach bei allen oder wenigstens bei vielen Gelegenheiten seine Überlegenheit ausspielen? Gewiss nicht. Ich habe ihn sogar einmal ganz demütig gesehen, es war nicht gespielt - als er nämlich, nach seinem Herzinfarkt, im Zirkus Roncalli eine Schubkarre durch die Manege schob. Er ging im Kreis herum, gebückt, immer wieder an den Ausgangspunkt zurückkehrend: eine nachdrückliche Erinnerung an die conditio humana, an die menschliche Fragilität und Gebrechlichkeit schlechthin.. Nein, ich meine,  die Tatsache, dass sich Buchheim mit seiner Umwelt oftmals schwer tat, hatte auch objektive Gründe. Sie lagen einmal, ganz allgemein, im spannungsvollen Verhältnis des Sammlers, des Stifters zum Staat - und zum anderen in der neuen Museumskonzeption, die sich bei Buchheim im Lauf des Lebens immer deutlicher herausgebildet hatte und die mit den traditionellen Museumsüberlieferungen nur schwer zu verbinden war.  Davon soll abschließend noch kurz die Rede sein.

Ein Sammler, ein Stifter ist für den Staat ein schwieriger Geselle. Dass Stifter aus freien Stücken geben, dass sie unterschiedliche Akzente setzen, dass sie alles Mögliche für gut und wichtig halten, manchmal auch Abseitiges und Skurriles, dass sie ihr Tun auch noch mit Lust ausüben, mit dem "Lustgefühl des Gebens, ohne geben zu müssen (Lothar Späth)" das alles bringt sie fast unvermeidlich in einen Gegensatz zur staatlichen Verwaltung. Denn deren Leitstern ist die Gleichbehandlung - und daher hat sie eine natürliche Nähe zu allem, was sich aus gleicher Augenhöhe überblicken, messen, beurteilen lässt. Das ist aber bei der bunden und reichen Sammlungs- und Stiftungswelt nicht ohne weiteres möglich. Daher versucht der Staat immer wieder "Ordnung" in das vermeintliche Sammlungschaos zu bringen, seine Komplexität zu reduzieren, wobei er sich die Erfahrungen der klassische Sammler, der Museen, zu eigen macht.

Der Staat hat viele Kinder, der Sammler oft nur eins. (Trifft auf Buchheim, den Vielgesichtigen nicht zu!). Der Staat muss die Grundversorgung sichern, die basic needs - der Sammler kann Prioritäten setzen und manchmal dem Luxus den Vorrang geben vor dem Nötig. Ich verteidige das, es ist der Preis der Freiheit und das Gesetz der Sammlungen kann nun einmal nicht die Gleichheit sein. Aber man muss sehen, dass das auch Probleme mit sich bringt. Oft treten ja auch Sammler und Spender an den Staat heran, oft wünschen sie Zusammenarbeit, Private Public Partnership von Gleich auf Gleich. Manchmal entstehen dabei Drucksituationen am Rande freundschaftlicher Nötigung.

Nun, dieser Widerstreit lässt sich in den meisten Fällen überbrücken. Man kann sich in die Lage des Anderen versetzen.  Am Ende steht ein Kompromiss. Aber wie steht es mit dem anderen Gegensatz zwischen dem neuen "Museum der Phantasie", das Buchheim vorschwebte, und den rühmlich bekannten "alten" Museen, bekannten Häusern, die notwendig Traditionen folgten und  wenig Platz für neue großflächige Visionen hatten?

Wenn ich recht sehe, hat  die Idee eines neuen, ganz auf den Sammler Buchheim zugeschnittenen Museums sich langsam, ganz allmählich in seinem Denken entwickelt. Sie entsprang zum einen seinem unbändigen Sammlertrieb, der keine Grenzen kannte, zum anderen war sie eine Reaktion auf die lange Zeit anhaltende abweisende Haltung vieler Museen traditioneller Art gegenüber seinem Konzept.  Dass Buchheim nach einem neuen Museumsverständnis suchte, dass es ihn drängte, das Museum neu zu erfinden, das wurde mir bei einem Besuch in seiner Feldafinger Wohnung klar. Was hatte sich da nicht alles angesammelt, regellos und ohne Hierarchie: von Manuskripten aller Art bis zu fertigen Büchern, von Gemälden und Graphiken bis zu bemalten Blättern, von Keramik und Porzellan bis zu Kinderspielzeug, zu Kreiseln und Klickern, Murmeln, Reifen und Rädern! Für Menschen mit Kinderherzen war es eine Erquickung, für die Tempelwächter klassischer Erbauung, die vor den Klassikern auf Zehenspitzen gingen, oft genug eine Provokation. Ich meine, dass es dieser kaum überbrückbare Gegensatz war, der  Lothar Günther und seiner Frau -beiden Buchheims also -  immer wieder Probleme bereitete. Für die Parole: Die Phantasie an die Macht, auch im Museum!- war die Zeit einfach noch nicht reif.

Freuen wir uns also, dass am Ende die Macht der Phantasie doch gesiegt hat, dass wir hier in Bernried in einem Museum sind, das den Erwachsenen ebenso gehört wie den Kindern, den Andächtigen ebenso wie den Zerstreuten, denen, die das  Außergewöhnliche bewundern, ebenso wie denen, die nur einfach herumgehen, spielen und Anregungen sammeln wollen. Freuen wir uns über das ?Buchheim Museum der Phantasie.?  Und damit darf ich die Ausstellung "Max Beckmann - Lovis Corinth", mit herzlichem Dank an alle, die sie vorbereitet und ermöglicht haben, eröffnen.


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