Wunderkammer der Kreativität
ecco vom 12.12.2001
Weit reicht der Blick über den Starnberger See. Beugt man sich über die Reling, sieht man unten die Blässhühner im Uferschilf paddeln. Nach über 20 Jahren hat der große Dampfer, die Sammlung Buchheim, in Bernried festgemacht. Hat man die Aussicht von der Besucherplattform genossen, taucht man wieder ein in die sinnlichen Sensationen eines Museums, das seinem Namen Ehre macht: Museum der Phantasie. Der Traum des Malers und Sammlers Lothar-Günther Buchheim ist hier Wirklichkeit geworden.
Schon als Schüler, in den 30er Jahren, besserte er das Familieneinkommen mit dem Verkauf seiner Zeichnungen und von Linolschnitten für sozialistische Blätter auf. Er besuchte in Dresden und München die Akademie, zeichnete und aquarellierte, fotografierte und schrieb. Wurde eingezogen, war Kriegsberichterstatter bei der Marine. In seiner Frankfurter Galerie zeigte er die ersten Ausstellungen von Klee, Picasso und Braque im Nachkriegsdeutschland. Aus deren Katalogen erwuchs sein Verlag, mit dem Buchheim zum Sammler und Forscher wurde. Mit seinen Büchern hat er wieder den Zugang eröffnet für die im "Dritten Reich" als "entartet" verfemte Kunst des Expressionismus. Ebenso mit den Ausstellungen einer Sammlung, die nun in eine öffentliche Stiftung eingebracht wurde.
Arche des Expressionismus
Zwei große Säle mit Meisterwerken des Expressionismus: Ernst Ludwig Kirchners sechs Meter lange Berglandschaft und die rote Eruption des Pechstein-Porträts von Erich Heckel, Otto Muellers träumerisch-herbe badende Mädchen und die mächtige Farbenschönheit der Landschaften von Karl Schmidt-Rottluff. Die Sammlung Buchheim ist die wichtigste Privatsammlung des deutschen Expressionismus. Sie versammelt große Namen - von den "Brücke"-Künstlern bis zu Einzelgängern wie Max Beckmann und Christian Rohlfs - und vergessene Künstler der zweiten expressionistischen Generation wie den Maler-Graphiker Max Kaus. Gleichrangig behandelt sie Gemälde und Arbeiten auf Papier, also die im Expressionismus so intensiven und zupackenden Zeichnungen und Aquarelle, Druckgraphik und Buchillustration.
Gesamtkunstwerk eines passionierten Sammlers
Sanft schmiegt sich das dreigeschossige Gebäude von Günter Behnisch an den Hang, klar ragt es auf Stelzen über dem See. Außen wie innen Holz, Glas und weiße Flächen. Das offene Haus wirkt wie ein langer Verbindungsgang, lädt zur Entdeckungsreise ein. Treppen, weiße Geländer, Balkone und Durchblicke verbinden die vier Ebenen und die beiden Türme. In deren intimen Räumen finden sich die völkerkundlichen und volkskundlichen Sammlungen und eine Dokumentation zu Leben und Werk von Buchheim.
Das Museum präsentiert aber nicht nur Ausschnitte eines Sammlungsbestands. Buchheim hat ein - seiner Leidenschaft entsprechendes - lebendiges Museum konzipiert: in wechselnder Präsentation, im Ineinandergreifen von Natur und Kunst, von Meisterwerken und Kuriositäten, von Gebrauchskunst und Volkskunst aus Bayern und Afrika, Asien und der Südssee. Auf 4000 Quadratmetern inszeniert er ein Zusammenspiel von Kunst und Karussellpferden, von Plakaten und Paperweights, von afrikanischen Schnitzereinen und naiver Malerei, von Bilderbogen, Spieldosen und Bauchrednerpuppen. Das Museum der Phantasie lässt nun alle daran teilhaben. Rundgänge und Spezialführungen werden angeboten, dazu Workshops zu Sammlungsthemen. Der 50.000 Quadratmeter große Park lockt nicht nur mit Blicken auf Landschaft und Skulpturen, sondern birgt auch manche Überraschung. Der Zug nach Kochel hält in Bernried, aber die malerischste Anreise zu Buchheims Welt ist die Fahrt mit dem Schiff über den Starnberger See.
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