Idylle mit scharfen Kanten

Münchner Merkur vom 21.02.2003

Er hatte eine Sonderstellung in doppelter Hinsicht: Zugehörig zur Künstlergemeinschaft "Die Brücke", wandte sich Otto Mueller (1874-1930) mit jenen Revolutionären gegen die Salonmalerei und das Spießerleben. Als Außenseiter dieser Gruppierung jedoch verfiel er nicht dem aggressiven Ton der Expressionisten, sondern suchte in Technik und lyrischem Ausdruck, in seiner eigenen Idee vom naturnahen Arkadien, einen sanften Weg abseits der kulturellen Schneisen.

Mädchen tummeln sich unbekümmert auf Wiesen und beim Baden, zartfarbig ist das fragile Wesen Mensch dargestellt. Harmonisch leuchtet die paradiesische Idylle aus den Bildern. Und doch brechen mit manch scharfen Kanten, mit herber Vereinfachung und serieller Wiederholung moderne Zeiten an in den Werken von 1910 bis Ende der 20er-Jahre. Lothar-Günther Buchheim hat Bilder dieser Phase vor allem für seine Monografie über den Künstler gesammelt, die 1963 erschien. Genau 40 Jahre später wird nun die Ausstellung "Otto Mueller. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphik. Die Sammlung eines Malers" im Bernrieder "Museum der Phantasie" mit einer Neuauflage präsentiert.

Der Untertitel soll klar machen: Hier handelt es sich um eine Privatsammlung. Für sie wurde der zweitgrößte Museumssaal freigeräumt. Damit soll auch jeder Konkurrenzgedanke zur Retrospektive in der Münchener Hypo Kunsthalle (ab 21.3.) vermieden werden. Kuratorin Clelia Segieth hat Buchheim vor allem mit Auszügen aus seinem Buch selbst sprechen lassen. Der Sammler schätzte den Künstler wegen einer stillen Abwendung von der bürgerlichen Welt und, wie die "Brücke"-Kollegen, für seine experimentellen Lithografien und die Leimfarbenmalerei. In den 60er-Jahren gab es laut Buchheim noch viele Vorbehalte gegen den "Zigeuner-Mueller" und seine freizügigen dunkelhaarigen Modelle. Die "gazellenartigen, doch sinnlichen und wie von einem Mythos durchleuchteten Figuren" haben immer noch einen eigenen Reiz.

Mueller heischt nicht nach Glanzlichtern. Seine Welt ist in ihrer Einfachheit betörend. Mitunter wird sie pittoresk. Die berühmte "Zigeunermappe" (1926/27) zeigt karge Zufriedenheit. Leuchtende Details schälen sich aus dem Dunkel. Die neun Familienszenen sind bei Buchheim nicht nur vollständig erhalten, sondern auch mit verschiedenen Ausführungen angereichert. Durch die Lithografie begeisterte Mueller die "Brücke". So locker und verpönt anti-akademisch, wie sich die Menschen bewegen, so zackig werden sie mit der Natur verbunden. Wenn farbig, dann arbeitete Mueller behutsam: In feinsten Tönen kolorierte er die Frauen. Leichte Linien und sparsame Akzente kennzeichnen den Stil des Malers, der sich 1922 mit akribischem Scheitel im markanten Profil darstellte. Das Klare, Straffe ist eine Errungenschaft der "Brücke"-Zeit 1910-13, die Mueller herber und ernster werden ließ. Stumpfe Farben mit Leim gemischt und der "Brücke" bald ein Vorbild, erinnern an die von ihm bewunderte, altägyptische Wandmalerei. Die Arbeitsweise erforderte exakte Planung. Die starre Harmonie der "Zwei Mädchen im Schilf" (um 1926) erscheint eigenartig spröde und zeitlos. Die Szenen, Themen, Figuren wiederholen sich ständig. Mueller war gefangen genommen von der Naturnähe des einfachen, anti-gesellschaftlichen Lebens.

Während sich die Gelassenheit auf den Betrachter überträgt, ahnt man bei den Zustandsdrucken und variierten Blättern, dass sich ein akribischer Techniker dahinter verbirgt, der aber Sinn für Experimente hatte. Nur so konnten knatschgelbe Akte, Badeszenen mit plauschenden Mädchen oder leuchtende Farbstift-Landschaften entstehen. Das Freie, das ungezwungen Schöne ist aber immer Muellers Welt. Wer Picassos aggressive, zersetzende "Demoiselles d'Avignon" (1907) mit Muellers ballettösen "Drei Akte vor dem Spiegel" (1912) vergleicht, der weiß auch, dass der sanfte Expressive nicht imitiert hat. Er hat das geliebt, was er blank und frei beschreibt.


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