Eine fast heile Welt

Münchner Merkur vom 16.08.2004

Paris - das sind Gaukler und Liebespaare, das sind Tristesse, aber auch die Schönheit der fröstelnden Regen- und Nebeltage. Paris sind die Angler an der Seine und die leichten Mädchen rund um die Pigalle. Paris, das sind Soldaten in der Metro und Künstler an jeder Ecke. Lothar-Günther Buchheims Paris ist eine "allumfassende, gewaltige Stadtpersönlichkeit" mit hundert Facetten. Es ist eine funkelnde Gegenwelt zu den Kriegsfronten. Mit 25 Jahren war er als Soldat zum ersten Mal in Paris, seine Fotografien entstanden während des Krieges und in den 50er-Jahren.

Buchheim hat nicht nur ein Zeitdokument geschaffen, sondern "Friedensbilder eingeheimst", die ein erstaunliches Nebeneinander von Besatzern und Bevölkerung zeigen. Eine Zeitreise in die stillen Gassen, die belebten Parks und sündigen Vergnügungsviertel kann man jetzt mit knapp hundert neuen Abzügen in seinem Bernrieder Museum der Phantasie antreten. Jahrzehntelang lagen die unentwickelten Filme im Fundus' Buchheims. Erst in den 70er-Jahren machte er sich an den Karton. Nicht die Fotorenaissance veranlasste ihn zum Nachforschen, sondern die Notwendigkeit zum "Nachlass-Ordnen". Buchheim bannte das arme, lebensnahe Paris mit seiner Contax II. Die Luxusquartiere mied er. Er spürte dem Sonntagsvergnügen in den Gärten nach, fand trügerisches Idyll zwischen Parkbänken und Stühlen. Im Tuileriengarten konnte man sich kleine Spielboote ausleihen und dümpeln lassen. In den Gassen spielten die Kinder. An der Seine angelten die Männer. Man lebte in den Tag hinein, arrangierte sich mit den Umständen- und auch mit den Besatzern. Unbehelligt, mehr oder minder integriert konnten sich die deutschen Soldaten in der Stadt bewegen. Buchheim fotografierte seine Kameraden als nach Ausblicken lechzende Touristen in Uniform an den Fernrohren des Eiffelturms und schuf so fast eine Karikatur der Zeit. Er erwischte sie in der Menge, beiläufig. Nur eine Parade, die im Stechschritt vorübereilt, hat er aufgenommen.

Aus dem Blickwinkel des Kriegsberichterstatters

Buchheims Fotos sind im Vorübergehen entstanden. "Ich empfinde gelungene Fotografie als eine Art unverdientes Geschenk", schreibt er. Von den Begriffen Kunstambitionen und Fotoästhetik distanziert er sich. "Wenn ein Foto als Kunstwerk gesehen werden will, ist es mir allemal verdächtig. Es soll erzählen, die Kunst darf nur gratis mitgeliefert werden". Seine Fotos erzählen vom Blickwinkel eines jungen Kriegsberichterstatters, dem nach dem zerbombten Berlin und München "das unbeschädigte Paris wie ein Wunder" vorkam. Wie eine Fata Morgana leuchtet das Wasser des Tritonenbrunnens an der Place de la Concorde aus der Nacht heraus. Straßenschluchten ziehen sich in die Tiefe. Einerseits bleibt die Zeit in dieser Stadtlandschaft stehen, andrerseits sprudelt das Leben: die Maler im Kreis der Bewunderer, die Tänze auf den Straßen am Nationalfeiertag, der Kellner mit der Flasche auf dem Kopf. Und dann interessierten den späteren manischen Sammler die Flohmärkte: "Das ist eine riesige Bühne der Selbstdarstellung des so genannten kleinen Mannes". Die konkette Dame wischt vorbei und zieht noch heute jeden Blick auf sich. Paris ist Dorf und Weltstadt zugleich. Genau diese Mischung hat Buchheim konserviert.


Pressespiegel

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