Orangenpapiere als Pop-Art

Die Villa Maffei zeigt Exponate von Buchheim

Welt am Sonntag vom 24.05.2008

Lothar-Günther Buchheim war ein besessener Sammler. Selbst Orangen-Einwickelpapierchen trug er zusammen. Einige Exemplare zeigt jetzt die Villa Maffei. Die Ausstellung fächert eine ganze Kulturgeschichte dieser Miniaturposter auf. Überraschend ist die Bildfülle, die auch vor politisch nicht korrekten Motiven nicht zurückschreckt.

Lothar-Günther Buchheim war nicht der klassische Sammler, der etwa nur wertvolle Gemälde zusammentrug. Nein, "mit überbordender Anhäufungslust", wie Clelia Segieth, die Leiterin des Buchheim-Museums am Starnberger See sagt, sammelte er alles zwischen Kunst und Kitsch. Er nannte das "die Wiesenpfade der Kunst", sich selbst bezeichnetet er als "Zusammenträger".

So wartet das Haus denn in regelmäßigen Abständen mit Überraschungen auf, die aus den unermesslichen Schätzen im Depot rekrutiert werden.

Die neueste Ausstellung "Pop Art mit Orangenduft" widmet sich Buchheims Kollektion von Orangenpapieren. Allerdings nicht im Bernrieder Haupthaus, sondern der Dependance in der Feldafinger Villa Maffei. Was hier gezeigt wird, erinnert an eine kindliche Schatzkiste. Und so mancher ältere Besucher wird sicher noch nostalgisch an jene früheren Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg denken, als Bierdeckel, Sanellakärtchen und Orangenpapiere nicht nur  begehrte Sammelbildchen waren, sondern auch als Tauschobjekte auf dem Schulhof den Besitzer wechselten.

Was Buchheim sammelte, ist Pop-Art en miniature: Nicht immer von hoher künstlerischer Qualität, manchmal naiv und von einheimischen Produzenten oder Exporteuren in Kalabrien oder Spanien selbst gestaltet, meist jedoch aus der Werkstatt professioneller Werbegrafiker stammend. Nach Clelia Segieth lässt sich zwar keine Typologie erkennen, auch die Entstehungszeiten sind kaum zu verifizieren. Fakt ist, dass sie rein funktionalen Ursprungs sind: Um auf dem Transport nicht beschädigt zu werden oder zu verfaulen, wickelte man Orangen ab Ende des 19.Jahrhunderts in dünnes, chemisch präpariertes Seidenpapier, das schon bald bedruckt wurde. Auch ist noch immer unklar, ob die Entwerfer nach Vorlagenbüchern arbeiteten oder ob sie sich hauptsächlich an den Bildwelten und der Kultur des jeweiligen Marktes orientierten. Buchheim selbst spekulierte, dass es Musterbücher gab, ähnlich wie bei einem Tätowierer, in denen der Feuer speiende Ätna oder der Schiefe Turm von Pisa abgebildet waren.

Doch sieht man durchaus, dass Italien runde Formen bevorzugte, während die Motive aus Spanien meist viereckig und kleiner sind. Das lag auch an den unterschiedlichen Druckverfahren: Spanien verwendete lange Zeit die lithografische Technik, während man in Italien von Anfang an mit Offsetdruck in vier Farben arbeitete.

Pop-Art als populäre Kunst für alle

Pop-Art verstand Buchheim im ursprünglichen Sinn des Wortes als populäre Kunst für alle. Zum einen kosteten die Einwickelpapiere nichts, mit der ab den 50er-Jahren die Früchte aus Italien und Spanien nach Deutschland kamen. Zum anderen waren sie an eine breite Zielgruppe gerichtet, die sich mit ihren Ehrfahrungen auf den bunten Apfelsinenpapieren wiederfand. Schöpften doch die Motive aus Märchen und Mythen, zeigten besonders für kindliche Konsumenten Figuren wie Struwwelpeter, Micky Maus oder Max & Moritz. Letztlich war es Wegwerfware, knallbunte, originell gestaltete Werbeträger für ein Produkt, das lange Zeit als Luxusgut den Reichen vorbehalten war.

Die Ausstellung fächert eine ganze Kulturgeschichte dieser Miniaturposter auf, die mit ihrer unglaublichen Bildfülle und auffallenden visuellen Signalen überraschen. Sie arbeiten geschickt mit Wort und Bild, um mithilfe der bedruckten Einwickelpapiere in Kontakt zu ihren weit entfernten Kunden zu treten. Auffallend sind die positiven Reize, die zum Kauf verführen sollen: Lachende Kinder und südliche Sonne versprechen Gesundheit und Wohlergehen, glutäugige Sizilianerinnen, Venus oder Eva sind ewige Symbole der Verführung, und der antike Mythos von den goldenen Früchten steht als Zeichen immerwährender Jugend und Unsterblichkeit.

Es gibt auch ein politisch nicht korrektes Motiv

Allerdings gibt es laut Clelia Segieth ein politisch nicht korrektes Motiv: das des Mohren, der nicht nur die Früchte der Marke "Moro" zierte. Die Abbildung der stilisierten Schwarzafrikaner, meist karikaturhaft verzerrt mit dicken Lippen, Kraushaar und Ohrring, tragen nach heutiger Wahrnehmung durchaus rassistische Züge. Allerdings ist "Moro" im Italienischen nicht nur der Mohr, sondern auch die dunklere Blutorange.

Auch über die Geschichte der Zitrusfrüchte erfährt man in der Villa Maffei Wissenswertes und Witziges: So kann man ihren weiten Weg aus Ostasien bis Europa verfolgen. Während bereits um das Jahr 1000 Kreuzfahrer säuerliche Pomeranzen in den Mittelmeerraum brachten, kam die süße Apfelsine erst im 16. Jahrhundert durch portugiesische Seefahrer nach Europa. Doch wird nicht nur der Kopf angesprochen, sondern auch weitere Sinne: in Schalen stehen verschiedene Öle aus Zitrusfrüchten zum Riechen und Schnuppern bereit.

Buchheim hatte bereits in den 50er-Jahren mit diesem abseitigen Sammelgebiet begonnen. "Er hat gern und oft Orangen, Mandarinen oder Clementinen gegessen und mit Zitronen beim Kochen nachgewürzt", erzählt Clelia Segieth, die die kuriose Schau kuratiert hat. Auch auf Reisen steckte er sich Hunderte der hauchzarten Blättchen ein, die er zu Hause, zwischen selbst gemachte Albumdeckel gepresst, in seinen Mappenschränken verwahrte.


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