Manege frei im Buchheim Museum
Welt am Sonntag vom 19.11.2010
Clowns und hohe Kunst - für Lothar-Günther Buchheim war dies kein Widerspruch. So unorthodox, wie der besessene Sammler alles von Kitsch bis Kandinsky zusammentrug, so unkonventionell war auch sein Zugang zu allen Lebensbereichen. Einer davon war die Zirkuswelt, in die er bereits als Kind intensiv eintauchte. Einen „Zirkus-Aficionado“ nennt ihn deshalb Clelia Segieth, Leiterin des Bernrieder „Museums der Phantasie“ und Kuratorin der neusten Ausstellung am Starnberger See.
Manege frei für Kunst & Phantasie heißt das Projekt, in dem Buchheims „Faszination Circus“ nachgegangen wird. Es zeigt nicht nur Werke aus Buchheims schier überbordender Sammlung, die das Zirkusmotiv aufnehmen, es ist selbst wie ein Zirkusbesuch gestaltet und soll alle Altersgruppen ansprechen.
„Da gibt es zuvorderst natürlich die großen Nummern und klassischen Attraktionen“, sagt Clelia Segieth. Das sind Gemälde und Grafiken der von Buchheim wohlbekannten Brücke-Maler, die zu den wertvollsten Stücken der Expressionisten-Kollektion im Hause gehören. Zirkusartisten und Varietékünstler bildeten neben den Damen der Halbwelt das Umfeld, aus dem die expressionistische Großstadtkunst ihre Themen schöpfte. Die Zirkuswelt war nicht nur ein Ort für Sehnsüchte und Fantasien, sie galt auch, lange vor der Studentenbewegung der 60er-Jahre, als Metapher eines antibürgerlichen Lebensentwurfs.
Auf den Arbeiten von Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Otto Dix und Conrad Felixmüller, aber auch bei Fernand Léger und Marc Chagall sind alle Facetten des Zirkuslebens ausgebreitet. Da sieht man Artisten unter der Zirkuskuppel, Beckmanns ?Seiltänzer?, Kirchners schwarzen „Rapphengst“, Felixmüllers „Circusreiterin“ in flammendem Rot oder Chagalls traurigen Weißclown. Und was an Atmosphäre dazugehört, wird greifbar durch die Macht der Imagination: Das Manegenrund mit dem wirbelnden Sand und die gespannten Gesichter auf den Tribünen, das Brüllen der Tiere, der dramatische Trommelwirbel vor jedem neuen Auftritt und die geheimnisvolle Mischung unbekannter Gerüche.
Die Malergeneration zu Beginn des 20. Jahrhunderts blickte jedoch auch hinter die Fassade der scheinbaren Schwerelosigkeit, in der die Gesetze des Alltags außer Kraft gesetzt wurden. Beckmann sah das Leben als Drahtseilakt permanenter Gefährdung, Léger als Gleichnis für unser modernes Leben zwischen Schein und Sein, zwischen dem vordergründigen Glanz und Glitzer und der existenziellen Gefährdung dahinter. Ein magischer Ort der beinahe unbegrenzten Möglichkeiten, bei dem jedoch jeder falsche Tritt zum Absturz führen, jede falsche Einschätzung das Ende bedeuten kann. Im Zirkus fokussierte sich für die Expressionisten das Welttheater in all seinen Spielarten.
„Wir haben aber auch nostalgische Nummern in petto“, sagt die Kuratorin. Darunter versteht sie historische Zirkusplakate aus der berühmten Druckerei Adolph Friedländer, die mit ihrem naiven Duktus Kinder ebenso wie Erwachsene in eine Zeit zurückversetzen, als Gaukler und Spaßmacher auf Jahrmärkten auftraten - und die Geschichte des Zirkus eigentlich begann.
Buchheim selbst fertigte bereits als Kind Linolschnitte mit Zirkusmotiven und zeichnete als Jugendlicher Szenen auf dem Zirkusgelände. Wann immer ein Zirkus in seiner sächsischen Heimat Chemnitz gastierte, ergriff er die Gelegenheit, die Luft von Abenteuer und Freiheit zu schnuppern. Und wenn er Zirkusvorstellungen besuchte, fotografierte er seine Eindrücke.
Mit 17 Jahren hielt er die Artisten des „Circus “ fest; später dokumentierte er seine Besuche im Münchner „Circus Krone“ und die Gastspiele von André Hellers zauberhaftem „Circus Roncalli“. Auch eine Auswahl dieser Aufnahmen ist jetzt erstmals im Buchheim Museum zu sehen - und eröffnet nach den spannenden Fotos von Lothar-Günther Buchheims Kriegseinsatz auf dem „Boot“ eine weitere unbekannte Facette des epochalen Sammlers.
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