Köder für den Leser
Buchheim Museum: Wie Picasso, Chagall und Co. Bücher illustrierten
Münchner Merkur vom 13.03.2010
Die Pracht des Barock: Was um 1600 in Verse gefasst wurde, begeisterte 300 Jahre später noch die Surrealisten. Und was machte Pablo Picasso, selbst entflammt, 1948 daraus? Eine Ode an die stolze Weiblichkeit natürlich. Der Künstler, bekannt für seinen hohen Frauenverschleiß, huldigt mit seinen Radierungen aber nicht nur den Texten, sondern zeigt, was ein Künstlerbuch ist: ein Vergnügen aus Lesen und Schauen und vor allem eine höchst eigenwillige Art des Erzählens.
So etwas sollte weder im Schrank noch zwischen geschlossenen Buchdeckeln verstauben... dachte sich auch Kuratorin Clelia Segieth und inszenierte im Buchheim Museum in Bernried am Starnberger See eine Lese-Schau, die sogar Ex-und-hopp-Konsumenten zur Muße verführt. Bei Beckmann und Chagall blättern, mit Kirchner, Kokoschka und Nolde schmökern: Lothar-Günther Buchheim sammelte Genuss und Qualität. Diese perfekte Symbiose ist jetzt in "Buch und Kunst der Moderne" zu sehen.
Da gibt es Absonderliches wie den "Grotesk-Film" Frans Masereels (1921), der bizarre Fantasien "gegen den Anstand" in fortlaufenden Bildern zeigt. Da hat Max Kaus die umgemodelte chinesische Kriegslyrik von Klabund (1916) nach Strich und Fläche rhythmisiert. George Grosz klagt in akkuraten Umrisslinien und seltsamen Verzweigungen die Schatten der Nachkriegszeit an. Die Originalblätter funktionieren wie ein Köder: Schon ist man mittendrin in den Geschichten, beim Lesen der Vergrößerungen und Faksimiles.
Schon ist man auch mittendrin in der Kunstbuch-Entwicklung des 20. Jahrhunderts, die mit Ambroise Vollard in Frankreich ihren Lauf nahm und im Berlin der 20er Jahre mit der Konkurrenz zwischen Paul Cassirer und Herwarth Walden einen Höhepunkt fand.
Die ganze revolutionäre Ära ab den Expressionisten steckt da mit drin: "Werdet fähig vom Leben zu lernen und für das Leben zu wirken", schrieb Max Pechstein 1919 in seinem sozialistischen "Aufruf an alle Künstler!". Erich Heckel stellt die Künstler in seinem Chemnitzer Katalog (als Fries vergrößert) als Seiltänzer der Moderne dar.
Und Ernst Ludwig Kirchner fasst mit Georg Heyms apokalyptischen Versen das Trauma und die Sorgen der Kriegsgeneration zusammen. Ernst Barlach schließlich stellte als Autor und Künstler in Personalunion die materielle der geistigen Welt gegenüber.
Die ideelle Berufung wird in den Büchern bestens greifbar. Krönendes Beispiel ist Marc Chagall, dessen Ruhm mancher Verleger für sich in Anspruch nehmen wollte. Erste Berliner Veröffentlichungen 1914, die Autobiographie von 1923. Die ganze malerische und grafische Begabung gipfelt Jahrzehnte später, lange nach dem Krieg, in den langwierigen Arbeiten zur Bibel. Farbstarke Akzente sind das, die das Geistige in der Kunst und im Buch bestens verständlich machen.
Bis 12. Juni, März täglich außer Montag 19 bis 17 Uhr, ab April bis Oktober täglich außer Montag 10 bis 18 Uhr, Telefon 08158/99 700; der Katalog kostet 7,90 Euro.
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