Die Blaue Brücke
Mit Volldampf in die neue Epoche
Münchner Merkur vom 09.04.2011
Ein Zug unter Volldampf: Er ruckelt hinauf, unter ihm eine rote Kirche, gelbe Weite dahinter. Alles fein umrissen, alles schön bunt ? und alles schief. Ganz unten ein kleines Männchen, verloren neben einer altmodischen Laterne. Eine Schwelle, die technische und geistige, bewegte und verinnerlichte, vorwärts strebende und melancholische Welten trennt, ist ?Die blaue Brücke? (1920).
Wie das Bild von Lyonel Feininger, so heißt auch das neue Thema im Bernrieder Buchheim Museum. Mit der Ausstellung schließt man sich ans Blaue Jahr in Oberbayern zum hundertsten Geburtstag des Blauen Reiters an. Und noch mehr: die so eng verbundenen und so gegensätzlichen wie prägenden Strömungen der Kunsttendenzen ab 1900 werden auf frappierende Weise gezeigt.
Der Zug, der damals ins Rollen kam, tritt die Reise zu zwei Freiheitsbestrebungen an: zurück zur Natur und Zwanglosigkeit beziehungsweise hinein in die Untiefen von Seele und Geist. Bei beiden werden die lange unterdrückten Emotionen angesprochen. Der steinige Weg zum entweder brachialen oder feinsinnigen Durchbruch war eine Geschichte der völligen Zersplitterungen der Künstlervereinigungen in München. Eine üppige Dokumentation und Originaltexte wie der Almanach ?Der Blaue Reiter? als Wand füllendes Leporello schlüsseln die Situation auf: Die Hassliebe zwischen Nord und Süd brachte Höchstleistungen hervor. Wem das ? ganz im Sinne der Künstlergemeinschaft ?Die Brücke?, der Kernsammlung Buchheims ? zu kopflastig ist, der gibt sich einfach den neuen Kabinetten im Expressionisten-Raum hin.
Egal, ob ?mit oder ohne Schamhaare?, die vielen Akte regten Kandinsky bei der Brücke so auf, dass er sie nicht beim Blauen Reiter haben wollte. Karl Schmidt-Rottluffs wuchtige Holzschnitte, immer nah an Afrika, machen die handfeste Art der Brücke anschaulich. Franz Marcs und Heinrich Campendonks Grafiken zeigen den lyrischen Gegenpol des Strebens nach dem Paradies rund um den Blauen Reiter. Gedankliche Klammer und neues Kernthema des Saales ist Alexej Jawlensky: Sein ?Kopf in Blau? von 1912 schillert grellbunt ? aber seine sechs handcolorierten Lithographien zehn Jahre später verraten einen treffsicheren Feingeist. High-Tech-Kids mögen hier die Vorläufer der Smileys sehen, Literaten die pure Poesie. Wenige Linien und drei Farben werden zur Essenz des Lebens.
Lyonel Feiningers Druckgrafiken ab 1918 sind die Fortführung dieser Gedanken und werden als zweiter Hauptaspekt erstmals gezeigt: Gestützt auf die traditionellen ?Naturnotizen? markiert die prismatische Aufsplitterung der Welt, der Boote und Landschaften, die Überwindung des Materiellen. Luftig und doch konzentriert häufen sich hier wohl politisch motivierte, zweideutige Sonnenlandschaften und freie Seestücke. Das alles kulminiert in den Aquarellen: So zart, so schön, so präzise entspinnen sich hier Dörfer und Straßenzüge in freier, leichtester Farbigkeit und messerscharfem Strich. Der Dampfer auf See II (1930) schließlich fährt hinaus in eine neue Epoche, in der Unterbewusstes, Geistiges und Emotionales selbstverständlich werden.
Von Freia Oliv
Bis 30. Dezember, Katalog 8,90 Euro.
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