Ausstellung: Träume aus Trümmern
Münchner Merkur vom 20.10.2011
Mahnung auf höchstem Niveau: Das Buchheim Museum zeigt Kriegseindrücke von Otto Dix und Georges Rouault.
Von Freia Oliv
Aufgedunsene Körper. Augen, aus denen der Wahnsinn leuchtet. Zerfetzte Gliedmaßen. Zerfressene Leichen. Skelette und geschundene Seelen. Das Grauen hat im Buchheim Museum Bernried Einzug gehalten. „Krieg und Erbarmen“ ist eine riesige Mahnung: Künstlerisch auf höchstem Niveau, emotional mit zermarternder Tiefe kennt diese Ausstellung keine Gnade.
Otto Dix und Georges Rouault produzierten mit ihren Radierzyklen vor über 80 Jahren einen dauerhaften Schock. Und zwar auf allen Ebenen: Dix, der Realist, seziert mit chirurgischer Präzision die Schauplätze des Ersten Weltkrieges. Rouault, der Katholik, versucht verzweifelt, Hoffnung in die gemarterten Gemüter, in eine tonnenschwere Depression zu bringen. Genau diese thematischen, religiösen, menschlichen und stilistischen Gegensätze und Verarbeitungsmechanismen erlösen den Betrachter aus der Schockstarre. Und erlauben in der klugen Schau auch Faszination und Staunen.
Otto Dix (1891–1969) ist auf seinen 50 Blättern von 1923/24 mittendrin im Geschehen: Ab August 1915 war er an wechselnden Frontschauplätzen als MG-Truppführer und ließ sich als Pilot ausbilden. Was ihn antrieb, hier wie ein Besessener zu zeichnen? „Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem hatte er etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen. Man muss den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen habe, um etwas über den Menschen zu wissen…“
Angesichts seiner militärischen Karriere mag man geteilter Meinung darüber sein. Tatsache ist aber, dass Dix die Träume aus den Trümmern jahrelang heimsuchten und er sie so verarbeitete. Auch das mit unglaublichem Ehrgeiz übrigens: Er mischt Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Ätzungen, nimmt zerfranste Linien für Zerstörung, dunkle Flächen für aufgequollene Leiber, waberndes Durcheinander für den Wahnsinn an der Grenzlinie zwischen Leben und Tod. „Mahlzeit in der Sappe“ zeigt den zerfurchten Soldaten essend vor den Grauenswogen mit Skelett.
Szenen leuchten auf wie in einem Gewehrfeuer. Gräber, Detonationskrater, Giftgas-Tote. Der Erste Weltkrieg war eine technische Schlacht mit Massenvernichtungsmitteln, deren reale Auswirkungen Dix notiert: „Ich war bestrebt, den Krieg sachlich darzustellen, ohne Mitleid erregen zu wollen, ohne alles Propagandistische.“ Manche Totenköpfe scheinen miteinander zu sprechen. Und geben einen Hinweis darauf, dass Dix als Anhänger Nietzsches den Krieg auch als Teil eines Kreislaufs und Wandels sah. Damit ist der Widerspruch zwischen Sachlichkeit und atemloser Unmittelbarkeit erklärbar.
Genau das Gegenteil beim Expressionisten Georges Rouault (1871–1958): Der sensible, spirituelle und introvertierte Franzose steht dem Veristen und Aktionisten Otto Dix monumental gegenüber. Die 58 Blätter, geschaffen bis 1927, aber nach Streitigkeiten erst 1948 veröffentlicht, zeigen bei ihm die seelischen Folgen des Krieges. Die Tuschezeichnungen, später auf Kupferplatten übertragen und überarbeitet, hat Rouault, der selbst nie Soldat war, in Paris gefertigt.
Starke, runde Striche verraten den Glasmaler, der Drama, Leid und Hoffnung mit wuchtiger Linie und bedrückendem Hell-Dunkel formuliert. Teil eins der Mappe, „Miserere“, verweist immer wieder auf Jesus: Als Anhänger der katholischen Erneuerungsbewegung, spielt der Erlösungsgedanke eine zentrale Rolle. „Guerre“, Krieg, ist deutliches Thema des zweiten Teils: Skelette mit Soldatenkappe, die aufstehen, Deutsche mit Pickelhaube, ein Sohn, der seinen in die Schlacht ziehenden Vater trösten will. Dennoch sind es zeitlose, strenge Typisierungen. Nur selten durchbricht Rouault die Schwere mit erstaunlicher Karikatur-Nähe. Vielmehr formuliert er – auch in den Bildtiteln – ein ebenso persönliches wie allgemeingültiges Gebet des selbstzerstörerischen Menschen.
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