Grußwort von Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber

Zur Ausstellung "Eines Lebens Lauf"

Rede des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber anlässlich der Eröffnung der Buchheim-Ausstellung Eines Lebens Lauf im "Museum der Phantasie" in Bernried am 03.02.2006

Es gilt das gesprochene Wort.

Ein kluger Mensch hat einmal gesagt:

"Die Kunst hat es eigen, dass sie den Menschen stille, ruhig und friedlich macht."

Wenn er Sie gekannt hätte, lieber Herr Professor Buchheim, wäre sein Urteil wohl ein wenig anders ausgefallen.

Stille, Ruhe und Friedfertigkeit sind nicht gerade die Attribute, die man gewöhnlich mit Ihnen verbindet. Und ich glaube, es wären auch nicht die Attribute, mit denen Sie selbst sich ausreichend charakterisiert fühlen.

Für Sie gilt vielmehr, was Paul Cézanne einmal sagte: "Das, was den großen Maler ausmacht, das ist der Charakter, den er allem verleiht, was er berührt, der Geistesfunke, die Bewegung, die Leidenschaft." Das charakterisiert den Künstler und den Sammler Buchheim weitaus treffender. So habe auch ich Sie kennen gelernt: Als unkonventionellen, leidenschaftlichen, auch streitbaren Verfechter der Kunst und ihrer Werke. Als ein Mensch mit ungeheurer Kreativität und einer bemerkenswerten Begabung, traditionelle Denkschablonen und Klischees zu durchbrechen. Buchheim polarisiert und provoziert. Er will provozieren und polarisieren, und zumeist schafft er das auch.

Das ist gut so. Denn ohne diese Leidenschaft und Energie, ohne diese Kreativität und Produktivität wäre die Kunstwelt in Bayern und weit darüber hinaus deutlich ärmer.

Es ist sehr viel, was wir Ihnen verdanken. Da sind zum einen die Kunstwerke des Malers, Fotografen und Schriftstellers Buchheim. Schon in jungen Jahren als "malender Wunderknabe" gefeiert, werden seine Werke auch heute noch national wie international hoch geschätzt.

Da sind zum anderen einzigartige Kunstsammlungen, die Lothar Günther Buchheim zusammen mit seiner Frau, Ihnen, liebe Frau Buchheim, über viele Jahrzehnte hinweg mit Leidenschaft und höchster Kompetenz erworben und zusammengetragen haben. Ihre Expressionisten-Sammlung beispielsweise ist eine der größten und bedeutendsten weltweit.

Und da ist zum dritten das Museum der Phantasie, in dem diese unschätzbar wertvolle Sammlung vor fast sechs Jahren eine ihrer Einzigartigkeit und Bedeutung angemessene Heimat erhalten hat. Hier können wir heute, lieber Herr Buchheim, drei Tage vor Ihrem 88. Geburtstag unter dem Titel "Eines Lebens Lauf" Ihr großartiges Gesamtwerk betrachten und bewundern.

Welche Bühne würde sich dafür besser eignen, als "Ihr" wunderbares Museum. Wobei Sie mit dem Wort "Museum", wie ich sehr wohl weiß, nicht viel anfangen können. Sie halten es da mit dem französischen Dichter Alphonse de Lamartine, demzufolge "Museen der Friedhof der Kunst" sind.

Das "Museum der Phantasie" jedoch ist etwas ganz anderes. Hier wird Kunst weder beerdigt noch begraben. Vielmehr ist das Museum der Phantasie ein Ort, in dem Kunst lebt, ein Ort der Imagination, der den Besucher verführt, Kunst neu zu sehen und neu zu verstehen.

Die Ausstellung "Eines Lebens Lauf" bietet für neue Einblicke und Sichtweisen reichlich Gelegenheit. Die rund 250 Ausstellungsstücke aus rund 75 Jahren künstlerischen Schaffens geben uns einen umfänglichen und aufschlussreichen Einblick in Ihr Lebenswerk.

Es ist vor allem der Künstler Lothar-Günther Buchheim selbst, der sich uns in dieser Ausstellung präsentiert. Die Themen seiner Kunst spiegeln den Menschen Buchheim als Augenmensch wider. Sehen ist seine Art, die Welt stets aufs Neue zu erfahren und malend-gestaltend zu begreifen, ganz nach Leonardo da Vinci: "Der Mensch, das Augenwesen, braucht das Bild."

Sie klammern sich dabei nicht an Ordnungen und Klassifizierungen, noch beschränken oder spezialisieren Sie sich auf einige wenige Gebiete. Buchheim präsentiert die Fülle des Lebens und ist immer bereit, über die Formenvielfalt der Natur und die unendliche Erfindungsgabe des Menschen zu staunen.

So vielschichtig Ihr eigenes Werk ist, so komplex und reichhaltig sind auch Ihre Sammlungen. Gemälde und Grafiken, Volkskunst und so genannte hohe Kunst - hier findet alles zusammen, hier gehört alles zusammen. Das scheinbar Unverbundene, ja sogar Gegensätzliche, ist Programm und macht den eigenen, genialen Reiz Ihres Werks und Ihrer Sammlung aus.

Lieber Herr Buchheim, ich bin froh, dass wir Sie hier bei uns in Bayern haben. In der Öffentlichkeit ist schon weitgehend in Vergessenheit geraten, dass Sie mehr als einmal drauf und dran waren, nach Weimar oder Chemnitz zu gehen. Die Leidenschaft und Energie, von der ich eingangs sprach, drängte Sie nach der Vollendung Ihres Werks. Das Warten war und ist Ihre Sache nicht.

Umso mehr freue ich mich, dass Sie hier geblieben sind. In den Dank einschließen möchte ich ganz besonders Ihre Frau Gemahlin. Ihr Anteil am Lebenswerk Ihres Mannes, liebe Frau Buchheim, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden.

Das Museum der Phantasie, die Sammlungen Buchheim und das Werk Lothar-Günther Buchheims sind wertvolle Bausteine unserer reichen bayerischen Kulturlandschaft. Für die Bayerische Staatsregierung ist die Pflege und Förderung dieser Landschaft eine ureigene staatliche Aufgabe. In Erfüllung dieser Pflicht haben wir in den vergangenen Jahren die Museumslandschaft in einem Umfang erweitert, wie es seit den Tagen König Ludwigs I. nicht mehr der Fall war.

Die Erweiterung umfasste Projekte in ganz Bayern. Die "Pinakothek der Moderne" in München als Flaggschiff der bayerischen Museenflotte ist sicher das herausragendste Beispiel. Andere erfolgreiche Neugründungen waren das "Neue Museum" in Nürnberg und der Würzburger Kulturspeicher, der im vergangenen Jahr den bayerischen Museumspreis für qualitätvolle und innovative Museumsarbeit erhielt!

Für bislang private Kunstsammlungen haben wir das "Museum der Phantasie" hier in Bernried und in Schweinfurt ein Museum für die Sammlung Schäfer realisiert. Das derzeit im Bau befindliche Museum Brandhorst in unmittelbarer Nachbarschaft zur Pinakothek der Moderne führt diese Tradition fort.

Gerade mit diesen neuen Museen gelingt es uns, kunsthistorische Lücken staatlicher Sammlungen zu schließen. Ob Buchheims Expressionisten oder Brandhorsts zeitgenössische Sammlung - der Staat könnte sie aus eigener Kraft weder aufbauen noch ankaufen. Umso mehr sind wir privaten Sammlern und Mäzenen zu großem Dank verpflichtet, sind vom Staat gebaute Museen für private Sammlungen besonders wertvoll.

Die Förderung der Kultur erschöpft sich freilich nicht in Museumsbauten. Sie ist eine Daueraufgabe auf sehr vielen "Baustellen", in die der Freistaat jährlich über eine halbe Milliarde Euro investiert. Zusätzlich haben wir aus Privatisierungserlösen einen eigenen Kulturfonds eingerichtet. Mit rund 10 Millionen Euro jährlich unterstützen wir so innovative künstlerische und kulturelle Projekte in allen bayerischen Regionen. Für die Bayerische Staatsregierung ist diese Förderung ein Ausdruck des Bekenntnisses zur Kultur und Tradition unseres Landes und unserer Heimat.

Museen und Galerien sind wichtige Bausteine in einem Gesamtkonzept, mit dem wir im Rahmen der "Offensive Zukunft Bayern" auch die kulturelle Ausstrahlung unseres Landes intensivieren. Wir werden das auch weiterhin tun, denn wir sind uns der Bedeutung von Kunst und Kultur für die Menschen in unserem Lande bewusst.

Die Beschäftigung mit Kunst ist ein menschliches Grundbedürfnis. Das steigende öffentliche Interesse an Museen und Ausstellungen geht dabei nicht nur von den Besuchern aus, und es konzentriert sich nicht nur auf die Exponate. Architektur und Ausstellungskonzeption, Raum- und Lichtgestaltung haben auch die Museen selbst immer schon zu einem Gesamtkunstwerk werden lassen. Hier im Museum der Phantasie wird dieser Aspekt besonders deutlich.

Kunst wirkt in hohem Maße persönlichkeitsbildend. Sie erfüllt einen Bildungsauftrag, der mit rein ökonomischen Gesichtspunkten nicht fassbar zu machen ist.

Der Mensch braucht diese Art geistiger Nahrung und schöpferischer Möglichkeiten zur Entwicklung seiner Persönlichkeit. Künstlerische und musische Bildung hat deshalb einen Eigenwert für den Einzelnen und für die Gesellschaft als Ganzes. Museen und Galerien leisten zu dieser kulturellen Bildung einen wesentlichen Beitrag. Es ist Auftrag des Staates, diese Bildung in ihrem Wert anzuerkennen und zu fördern. Diesem Anspruch fühlt sich die Bayerische Staatsregierung unverändert verpflichtet.

Auch Deutschland als Ganzes muss als Sozialstaat und innovativer Wirtschaftsstandort seine Stellung als Kulturnation festigen. Kultur ist auch keine von den gesellschaftlichen Lebensprozessen abgehobene Zutat menschlicher Tätigkeit. Sie ist die Basis dafür.

Alle gesellschaftlichen Lebensprozesse sind von Kultur durchdrungen. Sie vollziehen sich über Sinnbestimmungen und Wertorientierungen, die das individuelle Handeln leiten und in ihrer Gesamtheit die Kultur einer Gesellschaft ausmachen. Wie wir mit dieser Kultur umgehen, ist deshalb ein Gradmesser für den Zustand und die Perspektiven unserer Gesellschaft, und damit auch unserer Wirtschaft.

Ein gesunder Kulturföderalismus in Deutschland und Europa ist unserer Überzeugung nach die Voraussetzung dafür, dass die Menschen ihre geschichtlich gewachsene Identität in Tradition, Brauchtum und kulturellem Leben bewahren und fortentwickeln können. Wir Bayern freuen uns über diese Entwicklung und nehmen den Wettbewerb der Kulturstandorte gerne auf.

In keiner anderen großen europäischen Nation ist das Verhältnis von Einheit und Vielfalt so vielschichtig wie bei uns. Der ständige Wettbewerb zwischen den vielen historisch gewachsenen Kulturzentren war gestern, ist heute und bleibt auch morgen die Grundlage für den kulturellen Reichtum und die künstlerische Vielfalt in Deutschland.

Besondere Bedeutung gewinnt dieses Bekenntnis vor dem Hintergrund der europäischen Einigung. Auch in Europa war es gerade der Reichtum der Vielfalt und Eigenheit, der das europäische Denken, die europäische Kultur über Jahrhunderte geprägt hat.

Bayern hat sich schon immer für ein Europa der Vielfalt eingesetzt. Der Reichtum Europas liegt in der Vielzahl lokaler Besonderheiten, verschiedenster Bräuche und Traditionen. Ihn aufzugeben, heißt Europa seiner Wurzeln zu berauben.

Alle Mitgliedsstaaten und Regionen in Europa dürfen, sollen und müssen ihre eigenen kulturellen Wurzeln entwickeln und pflegen. In der Auseinandersetzung mit dieser Vielfalt künstlerischer Formen und Ideen werden wir uns unserer selbst bewusst. Wir beobachten eine weltweite Akzeptanz verschiedener Kunstformen, erkennen aber auch, dass sie bestimmten Kulturräumen entstammen. Deren historisch gewachsene Eigenarten und Grenzen müssen wir respektieren, wenn wir sie begreifen wollen.

Gerade dann aber, wenn wir die Grenzen akzeptieren, schlägt Kunst Brücken zum besseren gegenseitigen Verständnis über Sprach- und Landesgrenzen hinweg. Und wo treffen mehr verschiedene Regionalitäten und Nationalitäten aufeinander als in einem Museum von Weltrang?

Der Japaner, der in einem deutschen Museum französische Heugabeln und afrikanische Volkskunst betrachtet, ist somit kein Sonderfall, sondern völlig unspektakuläre Normalität: Wir erleben ihn täglich hier im Museum der Phantasie.

Lieber Herr Buchheim, Ihr Lebensweg, Ihre Werke und Ihre reichhaltigen Sammlungen stehen für eine ungeheure Vielfalt. Diese Vielfalt wollen wir in der Ausstellung "Eines Lebens Lauf" zusammen mit Ihnen erleben und ergründen. Ich bin froh, dass wir bei Ihnen zu Gast sein dürfen, und erkläre die Ausstellung "Eines Lebens Lauf" für eröffnet.


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Ditti Buchheim, Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber, Karin Stoiber und Lothar-Günther Buchheim.

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