Otto Dix – Die Goldenen Zwanziger Jahre

Kabinettausstellung im Buchheim Museum

Bis 10. Januar 2010

Otto Dix (1891- 1969) hat sich selbst, das menschliche Dasein und das Leben seiner Zeit in vielschichtigsten Schattierungen und Facetten wahrgenommen. Dabei war er distanzierter Beobachter, suchte aber gleichzeitig die unmittelbare, hautnahe Konfrontation mit dem Zeitgeschehen: Während des Ersten Weltkrieges setzte er sich als Freiwilliger bewusst der Realität des Krieges aus. In Frankreich, Flandern und Weißrussland entstanden Hunderte von Zeichnungen und Gouachen. "Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges", resümierte Dix später. "Das durfte ich auf keinen Fall versäumen! Man muss den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu wissen!"

Die sogenannten Goldenen Zwanziger Jahre, die in Wirklichkeit den Bankrott der westlichen Zivilisation bedeuteten, erlebte Dix ambivalent und aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Im Zentrum seiner Betrachtung steht jedoch immer der Mensch, wobei sich allgemein menschliche Aspekte mit gesellschaftlichen und zeitrelevanten verschränken. Eine Reihe hochkarätiger Aquarelle und Druckgraphiken, die bis zum 10. Januar 2010 in einer Kabinettausstellung im Buchheim Museum zu sehen ist, vermögen dies zu vergegenwärtigen.

Virtuos gemalte Blätter wie "Der Selbstmörder" (1922) und "Modernes Tanzpaar" (1922) charakterisieren eine Zeit, die von Depression, Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit, aber auch von Hedonismus, übersteigerter Lebenslust und Lebensgier gekennzeichnet war. Der verlorene Krieg, der Abertausenden das Leben gekostet und viele psychisch wie körperlich zugrunde gerichtet hatte, die empfundene Ohnmacht des Einzelnen angesichts der Kriegsmaschinerie und der katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse - all das provozierte den sprichwörtlichen Tanz auf dem Vulkan. Wer konnte, und dazu gehörte auch Dix, gab sich den Vergnügungen städtischer Amüsierbetriebe rauschhaft hin.

Dix war nicht nur ein leidenschaftlicher und fabelhafter Tänzer - seine Vorliebe für den Shimmy, einen amerikanischen Modetanz, brachte ihm den Spitznamen Jimmy ein. Dazu legte er großen Wert auf perfektes Styling, liebte die Verwandlung und Rollenspiele. Bald gab der in einfachen Verhältnissen aufgewachsene Arbeitersohn den antiintellektuellen Proleten, bald den stilsicheren Gentleman, bald den Dandy... Sein Auftritt mit fliegendem Cape, großem Hut und Handkuss überraschte auch die Galeristin Johanna Ey, eine rückhaltlose Förderin junger Talente, die Dix im Oktober 1921 nach Düsseldorf eingeladen hatte. "Erinnerung an die herrlichen Tage in Düsseldorf" schrieb Dix auf ein mit Bleistift gezeichnetes Selbstbildnis, das er "Frau Ey" 1921, wohl nach seiner Rückkehr nach Dresden, widmete. Jetzt ist das Blatt im Buchheim Museum zu sehen.

Der Düsseldorfer Aufenthalt war für Dix in mehrfacher Hinsicht folgenreich. Denn er konnte nicht nur Kontakte zu Galeristen, Sammlern und anderen Künstlern im Rheinland aufbauen. Dix verliebte sich in Martha (Mutzli), die Frau von Dr. Hans Koch, seinem wichtigsten Mäzen. 1923 heiraten beide. Erst im Herbst 1922 zog Dix für drei Jahre nach Düsseldorf, wo er sich vorwiegend der Aquarellmalerei widmete, was vor allem mit der wirtschaftlichen Situation in den Inflationsjahren 1922 und 1923 zusammenhing. Karl Nierendorf ("Nierendix"), Dix? Kölner Galerist, hatte klar erkannt, dass Wasserfarbenblätter nun besser verkäuflich waren als großformatige, kostspielige Gemälde und regte Dix zum Aquarellieren an.

Blätter wie "Mieze, abends im Café" (1923) und "Modernes Tanzpaar" spiegeln Dix' Hang zur mondänen Welt wider. Doch Ironie und karikaturhafte Überspitzung verweisen auf deren Fragilität und Brüchigkeit: Die Schönen der Nacht wie die kapriziös anmutende "Mieze" mit dem modischen Kopfputz, oder das, ganz den Rhythmen der Musik hingegebene und in grotesker Bewegung vereinte Paar, sind schillernde Gestalten und Protagonisten einer künstlichen Welt. Ihren Glanz vermögen sie allenfalls im schummrigen Licht der Bars und Nachtetablissements zu entfalten. Wie der von seiner eigenen Schönheit befeuerte, über dem Boden schwebende "Gott der Friseure" (1922) fühlen sie sich für Augenblicke der Wirklichkeit enthoben. Eine andere Form von Realitätsflucht verkörpert das in mehrfacher Hinsicht enthemmte "Betrunkene Liebespaar" (1923): ein grobschlächtiger Matrose, der mit seiner vollbusigen Geliebten bei Sonnenaufgang über ein Hafengelände torkelt. Für den Selbstmörder hingegen gab es kein Entfliehen, kein Vergessen, keinen Ausweg mehr. In größter Einsamkeit und Verzweiflung hat er sich in einer Kammer erhängt, deren  kleinbürgerliche Ordnung die Grausamkeit des Geschehens und die Gleichgültigkeit der Umwelt unterstreicht. Eros und Tod werden in Blättern wie "Das Erwachen" (1922) und "Mutter und Kind" (1922) thematisiert: Die greisenhaften Gesichtszüge des Säuglings gemahnen weniger an die Geburt, denn an das Ende allen Lebens. Um das Thema Vergänglichkeit und Tod kreisen weitere Arbeiten aus den frühen 1920er Jahren. 

Dr. Clelia Segieth
Kuratorin des Buchheim Museum


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