Provenienzforschung

Seit Ende September 2019 finden Sie unter sammlung.buchheimmuseum.de vielfältige Informationen zu Sammlungs­gegenständen des Buchheim Museums. Die Datenbank dient insbesondere dazu, die Forschungsergebnisse der Provenienz­forschungsp­rojekte am Buchheim Museum transparent und weltweit zugänglich zu veröffentlichen und auch Informationen über die Personen zu liefern, die in Beziehung zu den vorgestellten Werken stehen: Künstlerinnen & Künstler, Modelle & Porträtierte, Druckereien & Verlage sowie Sammlungen & Kunsthandel. Dabei ist ein visuelles, sich ständig erweiterndes Netzwerk entstanden.


Jedes Kunstwerk ist einzigartig und hat seine ganz persönliche Biografie. Diese zu erforschen und möglichst lückenlos darzustellen, ist Ziel der Provenienzforschung. Sie ist seit jeher Bestandteil kunsthistorischer Praxis und musealer Sammlungspflege, wurde jedoch in früheren Jahren eher nachrangig behandelt. Mit der Verabschiedung der sogenannten »Washingtoner Erklärung« wurde das wissenschaftliche Bedürfnis musealer Bestandsforschung 1998 um eine moralische Verpflichtung der unterzeichnenden Staaten erweitert: Kunstwerke, die während der NS-Diktatur (1933 bis 1945) beschlagnahmt oder deren Eigentümerinnen und Eigentümer zum Verkauf gezwungen wurden, sollen in öffentlichen Sammlungen identifiziert, sie selbst oder ihre Erben ausfindig gemacht und eine »gerechte und faire Lösung« für ehemalige jetzige Eigentümerinnen und Eigentümer gefunden werden. Als Folge dieser Selbstverpflichtung wurde ein Jahr später eine »Gemeinsame Erklärung« sowie eine begleitende Handreichung verfasst: die »Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz«, die nun die Basis für Provenienzforschung bildet.


Geschäftsunterlagen des Frankfurter Kunsthauses © Foto: Julia Rejmer/Buchheim Museum

Seit Oktober 2017 wird im Buchheim Museum mit Unterstützung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste und der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern systematisch Provenienzforschung betrieben. Hierfür wurde Oktober 2017 ein befristetes, mit Fördermitteln finanziertes Projekt gestartet, um NS-Raubkunst innerhalb des Gemäldebestandes Klassischer Moderne zu identifizieren. Um Kontinuität in der Forschung zu sichern und die freiwillige Selbstverpflichtung einer privaten Stiftung zur »Washingtoner Erklärung« zu unterstreichen, wurde im Februar 2022 am Buchheim Museum eine unbefristete Teilzeitstelle für die Provenienzforschung eingerichtet, die sich auch weiterhin vorrangig der Identifizierung von NS-Raubkunst widmen soll.


Im ersten Forschungsprojekt (01.10.2017 bis 31.01.2022 in Teilzeit) wurde systematisch die Herkunft aller Gemälde aus dem Sammlungsbestand des Buchheim Museums recherchiert, die vor 1946 entstanden und nicht von Lothar-Günther (1918–2007) oder seiner Mutter Charlotte Buchheim (1891–1964) geschaffen wurden. Diese Untersuchung beinhaltete auch die Dokumentation der Recherchen sowie eine Einstufung der Werke in das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste vorgeschlagene vierfarbige Ampelsystem zur Identifizierung von NS-verfolgungsbedingtem entzogenem Kulturgut. Im Ergebnis wurden 7,4% des Bestandes, sprich sieben Gemälde sowie eine bemalte Bildrückseite, in die Ampelfarbe »orange« eingestuft, da für diese Bilder Hinweise gefunden wurden, dass es sich um NS-verfolgungsbedingte Kunstwerke handeln könnte. Die Forschung für diese Werke wird vorrangig fortgesetzt. Zwei dieser sieben Gemälde wurden als Fundmeldungen in Lostart.de eingestellt.

ZUM PROJEKT »GEMÄLDE«


Conrad Felixmüller, Zirkusreiterin, 1921, Eigentümer Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See © VG Bild-Kunst, Bonn


Anlässlich der Ausstellung »Dix & Pechstein – Der Erste Weltkrieg in Bildern« im Herbst 2018 wurde die Herkunft zweier Bildzyklen in einem kurzfristigen viermonatigen Projekt (01.07. bis 01.11.2018 in Teilzeit) untersucht. Dabei handelte es sich um die druckgrafische Mappe »Der Krieg« von Otto Dix aus dem Jahr 1924, Exemplar Nr. 41/70, und Max Pechsteins 25 Aquarelle zur »Sommeschlacht« von 1917. Zwar konnten neue Erkenntnisse über die Herkunft der Zyklen gewonnen, die Provenienzen jedoch nicht vollständig rekonstruiert werden. Hinweise auf einen NS-verfolgungsbedingten Entzug ergaben sich nicht.

ZUM PROJEKT »DIX & PECHSTEIN – DER ERSTE WELTKRIEG IN BILDERN«


Max Pechstein, GRANATEINSCHLAG, AUS »SOMMESCHLACHT«, BLATT 05, 1917, Eigentümer Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See © Pechstein Hamburg/Tökendorf; VG Bild-Kunst, Bonn


Das laufende Projekt »Zeichnungen & Aquarelle der ›Brücke‹«, das am 15.10.2022 begonnen wurde und mit einer Laufzeit von zwei Jahren in Teilzeit geplant ist, dient der Identifizierung von NS-Raubkunst innerhalb eines Konvoluts von rund 200 unikalen Papierarbeiten der »Brücke«-Künstler.

ZUM PROJEKT »ZEICHNUNGEN & AQUARELLE DER ›BRÜCKE‹«


Erich Heckel, Zwei Mädchen, 1910/11, Eigentümer Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See © Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen; VG Bild-Kunst, Bonn


Alle Ergebnisse und damit die Antworten auf die Fragen nach dem Wann, Wo und Von Wem die recherchierten Gemälde und Arbeiten auf Papier erworben oder verkauft wurden, finden Sie in den über die Sammlung Online veröffentlichten Objektbeschreibungen der Werke. Für die Forschung wurden als Quellen die Kunstwerke selbst mit ihren Aufschriften, Ausstellungs- und Sammlungsetiketten, Schriftgut aus dem hauseigenen Privat- und Verlagsarchiv der Eheleute Buchheim sowie ihrer Bibliothek und externer Archive und Bibliotheken im In- und Ausland zurate gezogen. Da, wo möglich, wurde Kontakt zu Nachfahren von Voreigentümerinnen und Voreigentümern gesucht, deren Unterlagen und Erinnerungen ebenfalls in die Recherchen eingeflossen sind.

Werke, deren Provenienz noch nicht systematisch erforscht werden konnte, werden in der Sammlung Online nur mit dem Nachweis des Erwerbs durch die Buchheim Stiftung, die Trägerin des Buchheim Museums, veröffentlicht. Alle bisherigen Projekte wurden vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste Magdeburg im Förderbereich »NS-Raubgut« gefördert.


Im Zusammenhang mit den Recherchen zu Lothar-Günther Buchheims Tätigkeit als Kunsthändler konnte mit Unterstützung der Universitätsbibliothek Heidelberg der Auktionskatalog zur 1. Versteigerung des Frankfurter Kunsthauses am 21. und 22. April 1950 in Frankfurt am Main als Digitalisat online gestellt werden. Das Auktionshaus war von Buchheim gemeinsam mit dem Geschäftspartner Günther Haase (Lebensdaten unbekannt) Anfang 1950 gründete worden.

ZUM AUKTIONSKATALOG


Aus der Nachlassbibliothek
Lothar-Günther und Diethild Buchheim



Pressespiegel

Buchheim war kein Schurke
Weilheimer Tagblatt, 22.07.2023

Bild-Geschichten – Buchheim Museum will Herkunft von Kunstwerken klären
Starnberger Anzeiger, 24.05.2023

Aufwendige Recherche nach geraubter Kunst
Augsburger Allgemeine, 09.03.2022

Detektive aus Verantwortung – Museum der Phantasie hat Buchheims Sammlung auf NS-Raubkunst geprüft
Merkur.de, 22.02.2022

Provenienzforschung: Im Wechselbad der Gefühle
Süddeutsche.de, 10.02.2022

NS-Raubkunst? Buchheim Museum meldet Werke an Lost Art-Datenbank
BR 24.de, 08.02.2022

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