Max Beckmann - Lovis Corinth

Sonderausstellung im Buchheim Museum

10. Mai bis 13. September 2009

Seit dem Bestehen des Museums hat Lothar-Günther Buchheim immer wieder den Wunsch geäußert, Werke von Max Beckmann (1884-1950) und Lovis Corinth (1858-1925) aus seiner Sammlung in einer Ausstellung zusammenzuführen. Was uns auf den ersten Blick problematisch erschien, erwies sich in der Realisationsphase als interessantes Experiment, denn die Buchheim'schen Bestände lassen überraschende Gegenüberstellungen zu. Freilich kann und will diese, sich ausschließlich auf Werkkomplexe der Sammlung Buchheim konzentrierende Schau, die rund 150 Gemälde, Arbeiten auf Papier, illustrierte Bücher und Dokumente umfasst, nicht mit den großen Retrospektiven konkurrieren, die in jüngster Zeit Max Beckmann und Lovis Corinth gewidmet waren. Die Werke von Beckmann stammen aus den Jahren 1905 bis 1946, die von Corinth aus dem Zeitraum von 1894 bis 1925.

Beide Maler, Corinth, der Sohn eines Gerbers aus Tapiau in Ostpreußen und der sechsundzwanzig Jahre jüngere Max Beckmann waren Einzelgänger, verfolgten trotz massiver Widerstände beharrlich ihre künstlerischen Ziele und hielten in einer Zeit an der Figuration fest, als abstrakte Tendenzen begannen, das Kunstgeschehen zu bestimmen. Corinths Studienzeit in Königsberg, München und Paris war nicht nur eine vergleichsweise lange gewesen. Erst als er Mitte Fünfzig war, erfuhr sein Schaffen Anerkennung und Akzeptanz. Zwar hatten einzelne seiner Bilder, wie beispielsweise seine "Salome", großes Aufsehen erregt. Doch war man seiner Malerei mit Skepsis begegnet: zu drastisch erschien sein Realismus, zu provokativ seine Interpretation klassischer Themen, und zu heterogen und von Widersprüchen gekennzeichnet seine Kunst. Beckmann hingegen stieg schon in jungen Jahren kometenhaft auf. Nach kurzem Studium an der Weimarer Akademie erhielt er 1906 den Villa Romana Preis für ein Bild, das von Liebermann inspiriert war. In der  Berliner Secession, in der Corinth - unter anderem als Präsident- eine tragende Rolle zukam, kreuzten sich die Wege der Künstler, denn beide nutzten die Secessions-Ausstellungen als Forum, um mit ihren Werken an die Öffentlichkeit zu treten. Und auch bei Paul Cassirer, dem genialen Verleger und Kunsthändler, der in seiner Galerie deutsche Gegenwartskunst mit den neuesten Entwicklungen der französischen Avantgarde konfrontierte, waren beide vertreten: Er präsentierte ihre Werke und beauftragte beide mit Buchillustrationen.

Eine Reihe von Gemälden von Corinth und von Beckmann, die im Zeitraum von 1901 bis 1908 entstanden sind, vergegenwärtigen den künstlerischen Standort der beiden Maler im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Das subtile Porträt seines Malerfreundes Paul Bach zeigt Corinth als einfühlsamen Porträtisten, der in der Tradition Leibls und Trübners steht. Beckmanns weiblicher Akt aus dem Jahr 1908, eine Vorstudie für das Gemälde "Auferstehung", und Corinths "Tanzender Derwisch" (1904) lassen die akademische Schulung beider und das seinerzeit obligate Arbeiten nach Modellen erkennen. Doch während Beckmanns Akt in der leichten Aufwärtsbewegung innezuhalten scheint und sein Duktus durch kurze, bauende Pinselstriche gekennzeichnet ist, holt Corinth zur großen Geste aus. Mit raschen Pinselhieben bannt er die Gestalt des Mannes auf die Leinwand und unterstreicht durch seine spontane Malweise die Dynamik der Bewegung und den Eindruck des Lebendigen und Momentanen. Hier deutet sich schon an, worin sich Beckmanns und Corinths künstlerische Positionen grundlegend unterscheiden. Beckmanns frühe Meereslandschaften "Stürmischer Tag" (1905) und "Sommertag am Meer"(1907) verweisen auf impressionistische Vorbilder. Doch geht es ihm nicht um eine bloße atmosphärische Schilderung. Hier deutet sich vielmehr eines seiner zentralen Themen an: das  Meer als Metapher der Unendlichkeit: "Raum, Raum und nochmals Raum, die unendliche Gottheit, die uns umgibt und in der wir selber sind. Dies suche ich zu gestalten durch Malerei", meinte Beckmann später. Auch die "Sandige Vorstadt" (1905) und das 1946 entstandene Gemälde "Marine Noordwijk- Reiter am Strand" artikulieren dieses Raumerlebnis. Beckmann ist kein Naturschilderer; ihn bewegen von Beginn an existenzielle Fragestellungen. Doch auch Corinth hält nicht an der bloßen Impression, an der Oberfläche fest: Die skizzenhafte Unmittelbarkeit seiner Malerei vermittelt stets den Eindruck, als seien die Bildgegenstände nur vorübergehende Erscheinungen. Sein  Gemälde "Fleischerladen" (1906) vermag dies zu unterstreichen. Denn es provoziert, trotz des sinnlichen Reichtums seiner in prachtvollen Farben erstrahlenden Malerei, den Gedanken an die Endlichkeit allen Lebens und stellt sich damit in die Tradition von Vanitas-Darstellungen früherer Zeit. Unser Bild stellt in Corinths Schaffen jedoch keinen Einzelfall dar, sondern reiht sich ein in die sogenannten "Schlachthausbilder", die Corinth zeitlebens vor Ort in Schlachthäusern malte. Er beschwor damit immer wieder  seine wohl intensivste Kindheitserinnerung: das Schlachten auf dem väterlichen Hof.

Tod und Verfall nahm Corinth als selbstverständliche, natur- und gottgewollte Tatsachen hin. In seinen Selbstbildnissen dokumentiert er schonungslos physische wie psychische Veränderungen, auch Krankheit, Alter und Todesahnung, schlüpft aber auch in Rollen, die seine jeweilige Befindlichkeit wiederspiegeln: Der frisch Verliebte ist trunkener Bacchant, der Kämpfer für die Freiheit der Kunst geharnischter Ritter, dieser wiederum auch Kavalier und Beschützer der Frau. Am Ende seines Lebens verschmelzen seine vom Leid gezeichneten Gesichtszüge mit dem Antlitz Christi. Corinths intensive Wahrnehmung des Hier und Jetzt und die vielen Bildschöpfungen, in denen er Geschichten der klassischen Mythologie, der Bibel oder der Geschichte thematisierte, stellten für ihn keinen Widerspruch dar. Denn er erkannte in den alten Geschichten die gegenwärtigen. Deshalb rückte er die Protagonisten nicht durch Idealisierung in Distanz, sondern gab ihnen das individuelle Aussehen von modernen Menschen, lud ihre Gestalten mit sinnlicher Präsenz auf, und trug die Story packend und in dramaturgisch ausgefeilten Kompositionen vor. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges massiert sich in Corinths Bildern und Graphiken das Auftreten von Männern in Kriegsmontur. 1918, nach dem Ende, gibt es Darstellungen von Rüstungen, die wie entleerte Hüllen am Boden liegen. Kommentar eines deutsch gesinnten Romantikers, der die Realität des Krieges mit seinen modernen Massenvernichtungswaffen und dem Hinschlachten Abertausender nicht mehr fassen konnte. Zu viel totes Fleisch, verwesende Leiber und verstümmelte Körper.

Beckmann hingegen setzte sich dem Kriegsgeschehen bewusst aus. Sein Verhältnis zum Krieg ist ambivalent. Doch betrachtet er die Ereignisse als Möglichkeit, Einblick in das Innerste des Menschen zu gewinnen, stellt doch der Krieg für ihn eine außergewöhnliche Situation, eine "Erscheinungsform des Lebens" dar ,"wie Liebe, Krankheit und Wollust. Und genau so, wie ich ungewollt und gewollt der Angst der Krankheit und der Wollust, Liebe und Hass nachgehe, - nun, so versuche ich es eben jetzt mit dem Kriege" ( Brief vom 24.5.1915). Doch das Grauen erdrückt ihn. Er bricht zusammen. Um das Erfahrene artikulieren zu können, muss er nach neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln suchen. Zeichnung und Graphik werden jetzt zu seinem Experimentierfeld. Das Blatt "Die Granate" (1914) markiert den Umbruch. Bildraum und menschliche Körper werden gleichermaßen von dem Tod und Zerstörung bringenden Geschoss gesprengt. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Weitere Blätter spiegeln Trauer, Verzweiflung, Leid. Berührend das Bildnis seines verletzten Schwagers, der an der Front gefallen ist. Beckmann selbst zeigt sich als Gezeichneter. Unmittelbar nach dem Krieg schildert er eine Welt voller Gewalt und Angst: Auf der großformatigen Lithographie "Die Nacht" (1919) vergegenwärtigen spitze, prismatisch aufgesplitterte Formen nahezu schmerzhaft Folterqualen, die Dunkelmänner einer Familie zufügen. Der Krieg ist im privaten Bereich angekommen: Beckmanns Sohn Peter versetzt die Familie mit Kriegsspielzeug in Schrecken. In den Blättern der Mappe "Gesichter" (1914 -1918), der Beckmann, wie nahezu allen seinen Graphikeditionen ein Selbstporträt voranstellt, ist er beides zugleich: Chronist und Seher und innere Gesichte und Eindrücke verdichten sich zu einem beklemmenden Panorama der Kriegs- und Nachkriegszeit: Kriegskrüppel, Traumatisierte, Depressive, Gewaltverbrechen - allerorten lähmende Angst oder entfesselte Instinkte. Trotz der dichten Menschenzusammenballung zeigt Beckmann den Menschen als verlorenes, einsames und isoliertes Wesen, dem im Leben ein bestimmtes Rollenspiel auferlegt zu sein scheint. Doch neben dem Verweis auf innere und äußere Zwänge, die freies Agieren und Handeln unmöglich machen, deutet der Maler mit der geistigen Dimension einen möglichen Ort von Freiheit an. Beckmanns Vorstellung, den Krieg und das Leben als "eine Szene im Theater der Unendlichkeit" zu begreifen, prägt den Graphikzyklus "Der Jahrmarkt?" (1921) wie die "Berliner Reise"(1922) und rückt die "wüste Quälerei" (Beckmann) des Lebens in erträgliche Distanz.   

Corinth reflektiert in seinem Werk der Nachkriegszeit weder die politische Entwicklung noch nimmt er auf das gesellschaftliche Leben Bezug. Er zieht sich vielmehr in die Welt der Literatur, in die Natur und in den Kreis seiner Familie zurück. Am Walchensee schließlich gewinnt seine Kunst eine spirituelle Qualität, auf die sich sein Schaffen konsequent hinbewegte. Ende März 1925, einige Monate vor seinem Tod, notiert er: "Ein Neues habe ich gefunden: die wahre Kunst ist Unwirklichkeit üben. Das Höchste!" Die Diffamierung seines Werkes und seiner Person durch die Nationalsozialisten, die Beckmann leidvoll erfahren sollte, musste Corinth nicht mehr miterleben. Beckmanns Schaffen aber entfaltet sich in den nächsten Jahrzehnten zu unvergleichlicher Größe und Eigenständigkeit. Eine Reihe von Gemälden aus den 1930er und 1940er Jahren vermag dies anzudeuten.

Buchheims breiter und bewusst auf die Mischung von Gemälde und Arbeiten auf Papier zielender Sammelansatz erweist sich bei dieser Ausstellung als Glücksfall. Denn gerade in den Krisensituationen, die beide Künstler durchliefen: Corinth erlitt 1911 einen Schlaganfall, Beckmann im Ersten Weltkrieg einen Zusammenbruch, kam der Kaltnadelradierung in beider Werk eine befreiende und stilbildende Funktion zu. Corinth entwickelt dabei eine offene malerische Textur, die sich auch seiner Malerei mitteilt und seine Bildräume öffnet. Bei Beckmann hingegen verfestigen sich die Bildgegenstände, Offenheit und Weite verbleiben Sehnsucht, Ahnung. 

Dr. Clelia Segieth
Kuratorin des Buchheim Museum

Weitere Informationen

Links

Rede von Prof. Dr. Hans Maier
anlässlich der Eröffnung der Ausstellung

Treffen der Einzelgänger
Münchner Merkur vom 09.05.2009


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