Ein bayerisches Wunder
Der Spiegel vom 22.05.2001
Ist das ein Rüssel, der da ebenso schwungvoll wie nutzlos gen weiß-blauen Himmel ragt? Oder ein Sprungbrett, von dem aus man sich an heißen Sommertagen in die Fluten des Starnberger Sees stürzen kann? Was wie ein ausgestreckter Arm gut zwölf Meter überm Wasser in die Luft zeigt, ist vor allem eine betongewordene Metapher für das "Museum der Phantasie": eine Brücke ins Reich der Imagination, von der aus man die Alpen sieht und die Villen und Lustschlösser am anderen Ufer, da, wo einst Bayerns Märchenkönig Ludwig II. ertrunken ist.
Fast dreißig Jahre dauerte die Odyssee des Lothar-Günther Buchheim, der für seine einzigartige Sammlung expressionistischer Werke eine Heimstatt suchte, sich aber immer wieder zerstritt mit all den Bürgermeistern, Museumsdirektoren und Sponsoren, die ihn dutzendfach umschmeichelten und ihm ein Schloss schenken oder ein Haus zur Verfügung stellen wollten. Denn Buchheim ist nicht nur Sammler, Verleger, Fotograf und Romanautor, er ist auch ein ewiger Querdenker mit, so sagt er selber, "missionarischem Tick". Dass schließlich das bayerische Bernried den Zuschlag für das "Museum der Phantasie" erhielt, ist wohl - neben dem Engagement von Ministerpräsident Edmund Stoiber - nur dem Umstand zu verdanken, dass Buchheim inzwischen ein alter Mann mit Augenklappe im Rollstuhl ist, dessen Widerstandskräfte allmählich erlahmen.
Zum Granteln reicht es aber noch allemal. Weshalb es sich Buchheim bei der Eröffnungs-Pressekonferenz nicht nehmen ließ, noch einmal über all die "Sesselfurzer", "Polit-Kulturschranzen", "Schweinehunde" und "Gullyratten" aus der "verschnarchten" Nachbargemeinde Feldafing herzuziehen, die sein Museum vor ein paar Jahren per Volksentscheid abgelehnt hatten. Auch Architekt Günter Behnisch, der einst das Münchner Olympiastadion entwarf, wurde von Buchheim mit unfreundlichen Worten bedacht. Sein lang gestreckter Glas-Beton-Komplex, der an die Kommandobrücke eines U-Boots erinnere, habe "viel zu wenig Wände" und "viel zu viele Terrassen und Balkone". Auch sei das "Museum der Phantasie" leider recht klein geraten, mit der Folge, dass die Sammlung, die vor allem aus Werken von Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff, Pechstein, Dix, Nolde und Beckmann besteht, nun drei- bis viermal im Jahr ausgetauscht und umgehängt werden soll.
Andererseits bemühte sich Buchheim in der Stunde des Triumphs dann doch um versöhnliche Töne. Er sprach von "einem bayerischen Wunder" und davon, dass er mit seinem Museum "eine Art Wellenbrecher gegen die Woge der Gleichmacherei in den Museen" bauen wolle. Wozu gehört, dass er in seinem Museum zusammenführt, was in der Regel getrennt präsentiert wird: Gemälde und Arbeiten auf Papier hängen nebeneinander, in unmittelbarer Nachbarschaft von volkskundlichen Objekten und Kuriositäten aus aller Welt. So entsteht ein Dialog zwischen der Kunst der Expressionisten und ihren Inspirationsquellen aus Afrika und der Südsee; ein Fest fürs Auge, das jenes Entdeckungserlebnis nachvollziehbar macht, das einige der "Brücke"-Maler hatten, als sie zum ersten Mal über die Schwelle eines ethnografischen Museums traten.
Und irgendwann sollen auch die Bilder gezeigt werden, die der 83-jährige Buchheim einst selber malte: jene im Zweiten Weltkrieg entstandenen Marinebilder, die manche als Agitation für den Nationalsozialismus ansehen.
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