Bernried: Retrospektive von Buchheims Schaffen

Münchner Merkur vom 03.02.2006

Von Freia Oliv

Die Münder weit aufgerissen, die Arme erhoben, stürmen sie voran. "Revolution" scheint die Arbeitermasse zu schreien, von oben fallen Freunde wie Feinde von der Brüstung. Die ganze Szenerie eine einzige Aufruhr. "Saalschlacht", 1933. Lothar Günther Buchheim ist gerade 15 Jahre alt, schneidet die politischen Querelen im Vorfeld des Nationalsozialismus in Linol. Klar strukturiert, emotional verdichtet, die vielen Details zu einer einzigen Aussage gebündelt: Die Welt steht Kopf.

Sie wird es auch weiterhin tun. Das Brodeln hält bei Buchheim nie inne. Es prägt ihn von den ersten Bildern 1930 bis hin zu den späten bayerischen Tropenlandschaften 1996. Dass dazwischen die Kriegsjahre, die Galeriegründung, der Aufbau seines Verlages und seines Rufes als Autor und Fotograf, dass dazwischen viele Reisen, manisches Sammeln und der jahrzehntelange Kampf um ein eigenes Museum liegt, hat die Kraft Buchheims eher beflügelt als gehemmt. Dass das malende Wunderkind von einst, der stets aufmüpfige und lautstarke Kunstkenner von später es erst jetzt wagt, in seinem 2001 eröffneten Museum in Bernried eine eigene Retrospektive zu zeigen, ist erstaunlich. Anlass dazu ist sein 88. Geburtstag am 6. Februar.

250 Werke, Schwerpunkt Malerei: "Das ist opulent, aber es wäre trotzdem ein leichtes gewesen, noch mehr hochkarätige Werke aufzunehmen", so Kuratorin Clelia Segieth. Die jetzige Auswahl leitet von einer Dokumentation über zur puren Malerei. Zwei Stockwerke, ein Saal plus Veranstaltungsraum ermöglichen einen Gang durchs Vorkriegsgeprägte Ostdeutschland, durch U-Boot-Szenerien und leuchtende Landschaften. Wie akkurat Buchheim von der Mutter gelernt hat, belegen akribische und doch frei modellierte, frühe Skizzen. Waldschratte und Alpträume neben Realismus in den 30er Jahren in Bleistift, davor die linearen bis expressiven Linolschnitte der Arbeitslosen und der Städte.

Kompakte Eindrücke seiner Solo-Paddelboottour die Donau entlang legen den Grundstock für die Landschaftsmalerei. Der Feder bleibt Buchheim auch während seiner Jahre als Kriegsberichter treu: Die Gischt auf den Felsen der französischen Küste spritzt schwarz. "Von Krieg ist nichts zu sehen" notiert er froh 1944 zu seinen bretonischen Idyllen, die erdig-farbig schon den freien Pinselschlag dem strikten Tuscheduktus gegenüber stellen. Später, in den 50er und 60er Jahren, wird daraus konzentrierte Farbpracht zwischen schwarzem Liniengerüst.

Nach einem Blick auf die - umstrittenen - Großportraits seiner Marinekameraden tun die wogenden Moorlandschaften der Nachkriegsjahre besonders gut. Buchheim befreit sich immer mehr von der Grafik, er schwelgt in den Tönen des Feldafinger Moors, den Blick eingezäunt von Gräsergeflecht. Die "Tropen von Feldafing", die er 1972 nach eine Malreise in die Südsee bei seiner Heimkehr entdeckt, entfachen ein regelrechtes Leuchtfeuer. Zuletzt greift Buchheim 1996 zum Pinsel: entflammt und sichtlich gelassen.

Bis 28. Mai, Katalog: 24,80 Euro. Tel. 08158/99700.


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